Schultes, Joseph August (1773-1831), Mediziner, Naturwissenschaftler und Reiseschriftsteller

Schultes Joseph August, Mediziner, Naturforscher und Reiseschriftsteller. Geb. Wien, 14. 4. 1773 (Taufdatum); gest. Landshut, Bayern (Dtld.), 21. 4. 1831. Sohn des Schmieds Michael S. aus Wörth b. Regensburg, der Bediensteter des Gf.zu Öttingen-Wallerstein in Wien war; ein Familienzweig war geadelt und in höherem bayer. Staatsdienst tätig. Vater von Julius Hermann S. (s. d.). Streng kath. erzogen, bewog ihn sein naturwiss. Interesse, gegen den Willen der Eltern 1787 in ein öff. Gymn. in Wien einzutreten. Anfangs nebenbei Graphiken illuminierend, erhielt er ab 1791 ein Stipendium. 1792 begann S. seine Stud. an der phil. und med. Fak. der Univ. Wien, u. a. bei Joseph v. Quarin und Johann Peter Frank (s. d.), der zeitlebens sein väterl. Freund und Vorbild war. S. publ. 1794 „Oestreichs Flora“, womit er, wenngleich fehlerhaft, als erster Botaniker die heim. Pflanzen registrierte und systematisierte. 1796 Dr. med., eröffnete er eine Praxis und erhielt 1797 an der Theresian. Ritterakad. in Wien den Lehrstuhl für Botanik und Naturgeschichte. Im selben Jahr ehel. er in Wien die Regensburgerin Maria v. Kleber, mit der er acht Kinder hatte, und publ. den ersten Jg. des „Ehestands-Almanachs“. Nach Fahrten in die Schweiz und nach Dtld. begleitete er knapp nach der Erstbesteigung die Gf. Apponyi 1802 auf den Großglockner. Wegen einsetzender polit.- reaktionärer Tendenzen ließ sich S. 1806 als Prof. für Chemie, Botanik sowie Klinik und Spezielle Therapie an die Univ. Krakau versetzen, wo er auch den Botan. Garten erneuerte. Als k. k. Koär. bereiste S. 1807 Galizien und nützte dies zur Erkundung dortiger Heilquellen und Bergwerke. Da S. die polit. Bedingungen immer unerträglicher empfand, kam er um Entlassung aus österr. Diensten ein und erhielt 1808 in dem unter bayer. Verwaltung stehenden Innsbruck den Lehrstuhl für Naturgeschichte und Chemie, was er u. a. zur Neuordnung des Naturalienkabinetts und zu trigonometr. Vermessungen für neue Landkarten nutzte. Österr.feindl. und Bewunderer Napoleons, wurde S. 1809 vom Aufstand der Tiroler überrascht, nach Pecs (Fünfkirchen) verbannt und verf. darüber die „Geschichte der Deportierung der königlich baierischen Civilbeamten nach Ungarn und Böhmen“. Nach S.’ Freilassung berief ihn Kg. Max I. Joseph v. Bayern noch 1809 in Nachfolge von Franz de Paula v. Schrank (s. d.) an die Lehrkanzel für Naturgeschichte und Botanik der Univ. Landshut und zusätzl. an die dortige med. Sektion als Prof. für Spezielle Therapie. Ab nun führte er den Titel eines Kgl. Bayer. HR. Mit seiner krit. Art schaffte er sich unter der Beamtenschaft und im Klerus viele Feinde. Diese behinderten u. a. die Umgestaltung des Botan. Gartens. 1811 wanderte S. durch das südwestl. Dtld. und die Schweiz nach Frankreich, worüber er 1815 eine Publ. in Briefform mit bes. vielen botan. und mineralog. Beobachtungen, aber auch sozialpolit. und med. Erkenntnissen vorlegte. 1817 begann S. unter Mithilfe von Johann J. Römer, später mit Julius Hermann S. seine umfassenden botan. Einzelbeobachtungen für sein zehnbändiges botan. Hauptwerk auszuwerten, der Neubearb. „Caroli a Linné Equitis Systema vegetabilium secundum classes, ordines, genera, species …“. 1817/18 besuchte er Wien, um für seine „Donau-Fahrten“ von Ulm bis Wien zu forschen. 1824 Berufung zum Leiter der Univ.Klinik Landshut als Nachfolger von Johann A. Röschlaub. Seine Klinikführung war beispielhaft, in seiner sozialen Einstellung seiner Zeit voraus. Mit der Verlegung der Univ. 1826 nach München endete seine Laufbahn, ihm verblieb nur die Dion. der Chirurg. Schule in Landshut. Durch zahlreiche berufl. und familiäre Probleme – wie den frühen Tod seiner Tochter Laura – tief deprimiert starb S. Sein Schicksal war mit der Problematik zwischen Aufklärung und erstarkender Romantik eng verbunden. Von kosmopolit. Ideen und Freiheitsbestrebungen durchdrungen, war er mißtrauisch gegenüber klerikaler Bevormundung und staatl. Autorität und machte sich durch tw. berechtigte Kritik zahllose Feinde. Wiss. lehnte S. spekulative Methoden ab und ließ nur exakt-empir. Fakten gelten. Seine botan. Forschungen galten bes. der Pflanzensystematik, doch interessierte ihn auch die prakt. Anwendung in der Landund Forstwirtschaft zur Ertragssteigerung. Seine Reisebeschreibungen, die lange als mustergültig galten, bilden ein breites Spektrum verschiedenster Beobachtungen als Gesamtdarstellung von Land und Leuten. Für Historiker ist S. noch heute von bes. Interesse, weil er neben eigenen Beobachtungen Unterlagen heranzog, die seither großteils verloren gegangen sind. In romant. Art schildert er landschaftl. Naturschönheiten, was maßgebl. zur Erschließung der Bergwelt durch Touristen beitrug. Auch stattete er als exzellenter Zeichner manches mit eigenen Illustrationen aus. Als Technologe befaßte sich S. mit Bergwerken, Salzgewinnung und Verhüttungsmethoden, als Ökonom mit Manufakturen und bäuerl. Produktionsformen, als Arzt mit Unzulänglichkeiten der med. Versorgung am Land, bei Gewerbe und Ind. sah er die Umweltschäden durch Mißwirtschaft oder Raubbau an Rohstoffen voraus. S. wurde zum Mitgl. bedeutender wiss. Ver. ernannt, so der Ges. der Wiss. in Göttingen (1810), der Akad. zu Turin (1812), der Naturforschenden Ges. zu Genf (1813), der Ges. zur Förderung der gesamten Naturwiss. zu Marburg (1817) und war Ehrenmitgl. der Botan. Ges. zu Altenburg, Erlangen, Regensburg, Stockholm, Zürich, der Herzogl. Mineralog. Societät zu Jena usw. Ihm zu Ehren benannte Carl F. v. Martius eine trop. Enziangattung „Schultesia“.

W. (s. u. bei Sutner und Werk): Ausflüge nach dem Schneeberge in Unterösterr. …, 1802, 2. Aufl. 1807 (mit Kupfern), Teilausg., 1982; Reise durch Sbg. und Berchtesgaden (= Reise auf den Glockner 3–4), 1804, Neuausg., hrsg. von H. Schöner, 1987; usw.
L.: ADB; Graeffer–Czikann; Hirsch; Poggendorff 2; Wurzbach (mit Werks- und Literaturverzeichnis); Polytechn. Journal 42, 1831, S. 222ff.; Österr. Archiv für Geschichte … Kunst und Literatur 2, 1832, S. 133ff., 137ff.; Neuer Nekrolog der Dt. 9, 1833, S. 350ff.; M. Permaneder, Annales almae literarum Univ. Ingolstadii … 5, 1859, s. Reg.; J. H. Schultes, Vollständiges Reg. zu J. A. S.’ Grundriß einer Geschichte und Literatur der Botanik, 1871; A. Albrechtskirchinger, J. A. S. und sein Tätigkeitsber. vom Jahre 1824/25 aus der Landshuter Univ.Klinik, med. Diss. München, 1943; E. A. Geyer, Die med. Lehranstalten der Ludwig-Maximilians-Univ. in Landshut 1800–26, med. Diss. München, 1966, passim; G. Werk, Die Personalbibliographien der Mitgl. des Lehrkörpers der med. und phil. Fak. zu Landshut … mit biograph. Angaben, med. Diss. Erlangen, 1970, passim; V. Kraushofer, J. A. v. S. (1773–1831) und seine Bedeutung für die österr. Landeskde., Hausarbeit Univ. Wien, 1970; A. Beckenbauer, Landshuter Univ.Prof., 1970, S. 42ff.; Bosls Bayer. Biographie, hrsg. von K. Bosl, 1983, S. 705; W. Locher, Die Med. Fak. der Univ. München im 19. Jh. (= Schriftenr. der Münchener Vereinigung für Geschichte der Med. 15), 1985, S. 22f.; F. A. Stafleu – R. S. Cowan, Taxonomic Literature 5 (= Regnum vegetabile 112), 2. Aufl. 1985; G. Sutner, J. A. S. (1773–1831) (= Schriftenr. der Münchener Vereinigung für Geschichte der Med. 20), 1987; UA, HHStA, beide Wien; Bayer. Hauptstaatsarchiv, UA, beide München, Cotta-Archiv, Schiller-Nationalmus., Marbach a. Neckar, alle Dtld.
(M. Martischnig)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 11 (Lfg. 54, 1999), S. 338f.
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