Schultz, Alwin (1838-1909), Kunsthistoriker und Kulturhistoriker

Schultz — Alwin, Kunst- und Kulturhistoriker. Geb. Muskau, preuß. Schlesien (Bad Muskau, Dtld.), 6. 8. 1838; gest. München, Bayern (Dtld.), 10. 3. 1909. Sohn eines Architekten; evang. AB. Nach Absolv. des Gymn. in Breslau (Wrocław) stud. S. an der dortigen Univ. 1858–59 und 1862–64 christl. Archäol. und dt. Philol., 1859–61 besuchte er die kgl. Bauakad. in Berlin, wo er sich auch im Zeichnen ausbildete, 1864 wurde er an der Univ. Breslau mit einer Arbeit über den schles. Baumeister, Bildhauer und Gießer Jodok Tauchen zum Dr. phil. prom. S., der früh bes. Interesse an der Kunstgeschichte zeigte, trieb 1861 Privatstud. und veröff. im darauffolgenden Jahr eine Untersuchung „Über Bau und Einrichtungen der Hofburgen des XII. und XIII. Jahrhunderts“ (2. Aufl. 1873). 1866 habil. er sich für christl. Archäol. und Kunstgeschichte in Breslau, war 1870–73 prov. Leiter der Univ.Bibl., ab 1872 ao. Prof. an der dortigen Univ., 1882–1903 o. Prof. für Kunstgeschichte an der dt. Univ. Prag, 1885/86 Dekan. Ab 1870 gehörte S. dem Verwaltungsausschuß des German. Nationalmus. in Nürnberg an, ferner war er korr. Mitgl. der Poln. Akad. der Wiss. in Krakau (Kraków), Mitgl. der Ges. zur Förderung dt. Wiss., Kunst und Literatur in Böhmen usw. In seiner Breslauer Zeit entfaltete S. eine rege Tätigkeit vorwiegend auf dem Gebiet der Kunstgeschichte: er veröff. nicht nur – tw. in selbständigen Publ., tw. in Periodika – eine Reihe größerer Abhh. zur Kunst in Schlesien, sondern betätigte sich daneben auf musealem Sektor, etwa bei der Neuaufstellung des Mus. schles. Altertümer. Auch in Prag veröff. er mehrere kunstgeschichtl. Werke, wandte sich jedoch in der Folge vermehrt dem Gebiet der Kulturgeschichte zu, aus dem er bereits in den 70er Jahren Vorträge gehalten hatte und das er mit dem Begriff „Sittengeschichte“ bezeichnet wissen wollte. Als sein Hauptwerk auf diesem Gebiet kann die noch 1991 nachgedruckte Arbeit über „Das höfische Leben zur Zeit der Minnesinger“ angesehen werden, die, auf detailliertem Faktenreichtum gründend, ein anschaul. Bild vom Alltagsleben im Mittelalter bietet. Auch S.’ Stud. „Alltagsleben einer deutschen Frau zu Anfang des 18. Jahrhunderts“ (1890) und „Deutsches Leben im 14. und 15. Jahrhundert“ (2 Bde., 1892) sind durch den Sammelfleiß des Verf. lebendige, aufgrund ihrer Thematik modern anmutende Darstellungen, die nach heutigem Verständnis jedoch mit einem allzu romant. Ansatz gearbeitet sind und in ihrer Darstellungsweise nicht mehr den Anforderungen moderner Quellenkritik entsprechen. Auch nachdem sich S. nach seiner Emer. von Prag nach München zurückgezogen hatte, setzte er seine Arbeiten auf dem Gebiet der Sittengeschichte fort. Allerdings wurde sein Plan einer Weiterführung von „Deutsches Leben …“ ins 16. Jh. durch seinen Tod verhindert.

W. (s. u. bei Kosch, 3. Aufl.): De vita atque operibus magistri Jodoci Tauchen lapicidae Wratislaviensis …, 1864 (Diss. mit Curriculum vitae); Urkundl. Geschichte der Breslauer Maler-Innung in den Jahren 1345–1523, 1866; Schlesiens Kunstleben im dreizehnten und vierzehnten Jh., 1871; Schlesiens Kunstleben im fünfzehnten bis achtzehnten Jh., 1872; Einführung in das Stud. der neueren Kunstgeschichte, 1886, 2. Aufl. 1887, 3. Aufl., neu bearb. von R. Bernoulli: Die bildenden Künste, 1912; Das höf. Leben zur Zeit der Minnesinger, 2 Bde., 1879–80, 2. Aufl. 1889, Neudruck 1965, Nachdruck 1991; Das häusl. Leben der europ. Völker vom Mittelalter bis zur Hälfte des 18. Jh., 1903, Neudruck 1968; Beitrr. in Z., wie Mitt. der k. k. Zentralkomm. zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale, Schlesiens Vorzeit; usw. – Hrsg.: Die Schles. Siegel bis 1250, 1871. – Nachlaß, Archiv des German. Nationalmus., Nürnberg, Dtld.
L.: N. Fr. Pr., 11. 3. 1909; Münchner Neueste Nachrichten, 12. 3. 1909 (Beilage); Kosch; Kosel 2; Otto; Révai; A. Hinrichsen, Das literar. Dtld., 1887; Dt. Arbeit 7, (1908), S. 800; Hist. Z. 103, 1909, S. 234; H. Schmerber, in: Biograph. Jb. 14, 1912, S. 91ff.; Dt. Biograph. Archiv. NF, hrsg. von W. Gorzny, 1982–85, Mikrofiche 1194; 100 Jahre Kunstgeschichte an der Univ. Graz, hrsg. von W. Höflechner und G. Pochat (= Publ. aus dem Archiv der Univ. Graz 26), 1992, s. Reg.; Dějiny Univ. Karlovy 3, (1997), s. Reg.; Mitt. Karl Brunner, Krems, NÖ.
(Ch. Gruber – E. Lebensaft – J. Seidl)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 11 (Lfg. 54, 1999), S. 341f.
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