Schumann, Richard (1864-1945), Geodät, Astronom und Geophysiker

Schumann Richard, Geodät, Astronom und Geophysiker. Geb. Glauchau, Sachsen (Dtld.), 9. 5. 1864; gest. Wien, 2. 2. 1945. Sohn eines Kaufmanns, Großneffe des Komponisten Robert Schumann; evang. AB. Nach Schulbesuch in Glauchau und Chemnitz maturierte S. 1882 an der Petrischule in Leipzig, um sodann an den Univ. Leipzig und Berlin Mathematik, Physik und Astronomie zu stud. 1888 wurde er bei dem Astronomen Heinrich Bruns mit der Diss. „Gang der Pendeluhr F. Dencker XII“ zum Dr. phil. prom. Nach Beendigung seiner Stud. wurde S. zum 2. Observator an der Univ.Sternwarte Leipzig ernannt, wo er die Beobachtungen am Meridiankreis und die Aufarbeitung älterer Polhöhenbestimmungen übernahm. 1891 wechselte er an das unter der Leitung Friedrich Robert Helmerts stehende Preuß. Geodät. Inst. in Potsdam, wo insbes. aufgrund der Verbindung dieses Inst. mit dem Zentralbüro der internationalen Erdmessung damals ein Aufschwung der geodät. Wiss. einsetzte und grundlegende Arbeiten durchgeführt werden konnten. S. wurde hier mit verschiedenen geodät. Beobachtungsmethoden und Rechenverfahren vertraut gemacht, die ihn zu seinen weiteren Arbeiten auf den Gebieten der Erdvermessung und der Physik befähigten. In der Potsdamer Zeit war S. bes. in die Erforschung der genauen Gestalt der Erdfigur (Geoid), eines der Hauptforschungsziele des Inst., eingebunden. Dafür stellte er prakt. Messungen von geodät. Grundlinien bei Strehlen (Dtld.), Berlin und Bonn an, deren Ergebnisse er 1897 in einer umfangreichen Arbeit veröff. Bei diesen Vermessungsarbeiten entwickelte S. sein später allg. angewandtes Verfahren zur Bestimmung des Mitschwingens eines frei schwingenden Sterneckschen Pendels. 1902 wurde er über Vermittlung Helmerts als Ordinarius für Vermessungswesen an die Techn. Hochschule Aachen berufen, wo er sich rasch mit den Problemen der prakt. Geometrie vertraut machte. 1911 folgte er dem Ruf an die Techn. Hochschule in Wien, wo er Wilhelm Tinter als Vorstand der Lehrkanzel für Höhere Geodäsie und Sphär. Astronomie nachfolgte, bereits ein Jahr später wurde er in die Österr. Komm. für Internationale Erdmessung gewählt. 1913 wurde S. mit der Leitung des Gradmessungsbüros betraut, dem er bis zu dessen Auflösung 1921 vorstand. Die Verbindung mit diesen beiden Institutionen wirkte sich auf das Niveau der Lehrkanzel äußerst positiv aus, was auch in zahlreichen bedeutenden wiss. Arbeiten Niederschlag fand, unter denen die Stud. „Der Meridianbogen Großenhain – Kremsmünster – Pola“ bes. herausragt. 1914/15 Rektor der Techn. Hochschule Wien, 1916 HR. Als 1921 das Gradmessungsbüro als selbständige Abt. dem neu geschaffenen Bundesvermessungsamt angegliedert wurde, fungierte S. bis 1925 als dessen wiss. Berater. Bereits frühzeitig erkannte der Geodät die Bedeutung der Eötvös’schen Drehwaage, mit der er ab 1919 präzise Messungen im südl. Wr. Becken vornahm. Die dabei erarbeiteten Gradientenpläne führten 1932 zur Erschließung eines reichen Erdgasvorkommens im Viereck Rothneusiedl – Oberlaa – Himberg – Laxenburg, das für die Versorgung Wiens von großer Bedeutung wurde. Seit seiner Arbeit in Potsdam bis knapp vor seinem Tod beschäftigte sich S. u. a. auch mit dem Problem der Polhöhenschwankungen, wobei er für diesen Grenzbereich zwischen Astronomie und Geodäsie aufgrund seiner universitären Ausbildung bes. prädestiniert war. Als Hochschullehrer war S. stets bemüht, den akadem. Unterricht mit einer möglichst modernen Ausstattung zu führen. So richtete er zwei Keller für Pendelmessungen und Libellenuntersuchungen an der Techn. Hochschule Wien ein und erreichte für den Zeitdienst des Observatoriums 1928 eine deutl. Verbesserung, indem er einen 13 m hohen Turm über dessen Meßplateau errichten ließ. S.s bedeutendes wiss. Œuvre fand wiederholt gebührende Würdigung: 1917 Mitgl. der K. Leopoldin.-Karolin. Dt. Akad. der Naturforscher in Halle (Saale), 1923 korr., 1937 w. Mitgl. der Österr. Akad. der Wiss., 1926 auswärtiges Mitgl. der Ung. Akad. der Wiss. in Budapest, 1934 Großes Ehrenzeichen für Verdienste um den Bundesstaat Österr., 1942 Goethe-Medaille für Kunst und Wiss. S., sehr spracheninteressiert und ein guter Kenner des Esperanto, erreichte die Einführung eines Lektorats für diese Kunstsprache an der Techn. Hochschule Wien. Zudem besaß er – hierin durchaus seinem Großonkel verwandt – musikal. Talent, das sich insbes. in seinem hervorragenden Klavierspiel äußerte.

W. (s. u. bei Doležal): Der Meridianbogen Großenhain – Kremsmünster – Pola (= Astronom.-geodät. Arbeiten Österr. für die internationale Erdmessung, NF 1), gem. mit F. Hopfner, 1922; Beitr. zur Frage der Eigenschwingungen einzelner Tle. des Erdkörpers, in: Z. für Geophysik 11, 1935; Über die Bedeutung der Mittelwasserwerte als Punkte am Geoid, ebenda, 11, 1935; Erdmond, Sonne und Polhöhen-Schwankung, in: Sbb. Wien, math.-nat. Kl. 145, 1936 (auch selbständig); Harmon. Beziehungen zwischen Umlaufzeiten im System Sonne – Erde – Mond, ebenda, 148, 1939, S. 253ff. (auch selbständig); Die Möglichkeit von Polhöhenschwankungen infolge von Gezeiten der festen Erdkruste, in: Denkschriften Wien, math.-nat. Kl. 106, 1946 (selbständig 1943); Über luni-solare Rhythmen bei der Menschwerdung, ebenda, 106, 1946 (selbständig 1944); usw.
L.: Das kleine Volksbl., 3. 6. 1931 (mit Bild); Almanach Wien 95, 1945, S. 352ff. (mit Bild); Jb. der Wr. Ges.; Poggendorff 4–7a; E. Doležal, in: Österr. Z. für Vermessungswesen 32, 1934, n. 2, S. 21ff.; K. Mader, in: Gerlands Beitrr. zur Geophysik 42, 1934, S. 1f.; A. Berroth, in: Z. für Geophysik 10, 1934, S. 67f. (mit Bild); Österreicher 1918–34, 1935, S. 328 (mit Bild); Schaffende Bürger Österr. in Wort und Bild, 1937; G. Berka, 100 Jahre Dt. Burschenschaft in Österr., 1959, S. 150; 150 Jahre Techn. Hochschule 1815–1965, hrsg. von H. Sequenz, 1965, Bd. 1, bes. S. 350ff., Bd. 2, S. 155f.; Archiv der Techn. Univ. Wien, Wien.
(F. Allmer)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 11 (Lfg. 54, 1999), S. 367f.
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