Schuster, Ignaz (1779-1835), Schauspieler, Komponist und Sänger

Schuster Ignaz, Schauspieler, Komponist und Sänger. Geb. Wien, 20. 7. 1779; gest. ebenda, 6. 11. 1835. Sohn des Schneidermeisters beim Wr. Schottenstift, Simon Schuster und der Dorothea, geb. Fuchs, Bruder des Anton S. (s. u.), Onkel des Malers Joseph S. (s. d.). Nach dem Besuch des Gymn. des Schottenstiftes, wo er seit seinem achten Lebensjahr auch als Sängerknabe wirkte, und erstem Unterricht im Komponieren und im Klavierspiel (bei Eybler, s. d., und Franz Volkert) absolv. S. die phil. Jgg. Noch unentschlossen, ob er Jus oder Theol. stud. solle, lernte er 1801 den damaligen Besitzer des Theaters i. d. Leopoldstadt, Karl v. Marinelli, kennen, der ihn noch im selben Jahr als Sänger an sein Theater engagierte (Debüt als Johann Schneck in Philipp Hafners bzw. Perinets, s. d., Burleske „Die Schwestern von Prag“). S. fand zunächst im Chor sowie in kleinen Rollen und als Aushilfe in Opern und Volksstücken mit Gesang Verwendung. Seit 1805 wurde er verstärkt im lokalen Singspiel eingesetzt. In Rollen wie dem Herrn v. Hirschkopf in Ferdinand Kringsteiners „Hans in Wien“ (1809) oder Herrn von Springerl in Gleichs (s. d.) „Der Fleischhauer von Ödenburg“ (1810) erzielte er mit seiner realist. Charakterdarstellung erste größere Erfolge. Die darsteller. Persönlichkeit und die kom. Kraft des kleinen, etwas verwachsenen Schauspielers inspirierten Bäuerle (s. d.) zu der Gestalt des Parapluiemachers Chrysostomos Staberl in dem lokalkom. Lustspiel „Die Bürger in Wien“ (Urauff. 1813), dessen Darstellung S. über Wien hinaus berühmt machte. Bald darauf folgte die Fortsetzung unter dem Titel „Staberls Hochzeit“, 1815, nach einer längeren Krankheit S.s, „Staberls Wiedergenesung“. Weitere meist nur sehr kurzlebige „Staberliaden“ auch anderer Autoren folgten. In der Gestaltung dieses Wr. Vorstadtbürgers voll Frohsinn und Gutmütigkeit, Neugierde und Vorwitz, Selbstüberschätzung und kom. Unzulänglichkeit konnte S. sein ganzes schauspieler. Können, seine – für das Wr. Volkstheater in dieser Qualität neue – Fähigkeit, Charaktere aus dem wirkl. Leben auf die Bühne zu stellen, entfalten. Seine trockene Komik und seine beeindruckende Mimik unterstützten die Wirkung seines Spiels. S.s weitere Erfolgsrollen im Lokalstück waren „Verwandte“ Staberls in Stücken von Bäuerle, die ihm reichl. Gelegenheit zur Entfaltung seiner nuancenreichen, psycholog. fundierten Darstellungskunst gaben. Neben dem Lokalstück waren es v. a. die mytholog. Karikaturen Meisls (s. d.) in „Die Entführung der Prinzessin Europa“ (1816) und F. Xav. Tolds in „Jupiter in Wien“ (1825), in denen S. als unnachahml. Gestalter Jupiters als Pantoffelheld zu Lachstürmen hinriß. Nicht zuletzt feierte der Schauspieler auch in der Parodie große Erfolge, z. B. der Sängerin Angelica Catalani in Bäuerles „Die falsche Primadonna“ (1818). Mit dem Aufblühen des Zauberspiels, der Domäne des Schauspielers Raimund (s. d.), der seit 1817 am Theater i. d. Leopoldstadt engagiert war, gingen der schöpfer. Einfluß S.s auf die Wr. Volkskomödie und seine dominierende Stellung im Ensemble verloren. Als Schauspieler aber blieb er bis zu seinem Lebensende beliebt und unbestritten, nicht nur vom Publikum, sondern auch von bedeutenden Zeitgenossen wie A. v. Platen, L. Tieck, F. Schlegel und H. Anschütz (beide s. d.) als einer der bedeutendsten Charakterkomiker gerühmt. In Lokalstücken, oft Neubearb. alter Stücke, in den Travestien und Parodien wurden weiterhin Erfolgsrollen für ihn geschrieben, wie z. B. der Kramperl in Bäuerles parodist. Zauberspiel „Gisperl und Fisperl“ (1825) oder der Licinerl in Meisls parodierender Posse „Julerl, die Putzmacherin“ (1829). Seine kongeniale Partnerin in diesen Stücken, in denen parodist. und groteskkom. Elemente verstärkt zur Geltung kamen, war Therese Krones (s. d.). Vom damaligen Besitzer des Theaters i. d. Leopoldstadt, Rudolf Steinkeller, 1830 wie viele andere des Ensembles entlassen, ging S. vorerst auf Gastspielreisen, um nach einigen Monaten vom neuen Besitzer, Franz v. Marinelli, neuerl. engagiert zu werden. Am 14. Oktober 1835 trat er als Eustachius Wolferl in dem der Krones zugeschriebenen Zauberspiel „Sylphide, das Seefräulein“ zum letzten Mal auf. Obwohl am selben Theater engagiert, standen S. und Raimund erst 1830, im letzten Jahr ihres gemeinsamen Engagements am Theater i. d. Leopoldstadt, das erste Mal gem. auf der Bühne. S. gab in den Sommermonaten regelmäßig Gastspiele, u. a. in Prag, Preßburg, Brünn (Brno), Pest (Budapest), Linz und Graz und vielfach in Baden (NÖ). 1829 gastierte er auch in Berlin. Franz I. schätzte den Schauspieler sehr, ließ ihn u. a. in Laxenburg (NÖ) vor dem Hof spielen und lud ihn zu den Kongressen nach Aachen (1818), Troppau/Opava (1820) und Laibach (1821) ein. 1818 bewarb sich S. vergebl. am Wr. Burgtheater. Neben seiner schauspieler. Tätigkeit war S. 1804–11 Chordir., ab 1819 Subintendant und ab 1820 Opernregisseur am Theater i. d. Leopoldstadt. 1798–1806 sang er als Bassist an der Wr. Schottenkirche, ab 1806 an der Hofburgkapelle und ab 1807 als Chorsänger an der Domkirche zu St. Stephan. Er schrieb die Musik zu etwa 30 Theaterstücken (z. B. zu „Die falsche Primadonna“, 1818) und Librettis und verf. eine Reihe kom. und ernster Gesänge sowie eine vierstimmige Orchestermesse, die zu Pfingsten 1817 im Schottenstift aufgef. wurde. 1807 heiratete er Rosine Grohmann, die jedoch schon 1817 starb. Einer seiner Brüder, Anton S. (geb. Wien, 1769), war ebenfalls Sänger (Bassist) und Schauspieler am Theater i. d. Leopoldstadt und Sänger zu St. Stephan.

W.: s. u. bei Bauer, Goedeke, Stieger und Wurzbach.
L.: Eisenberg, Bühnenlex.; Enc. dello spettacolo; Goedeke, s. Reg.; Graeffer–Czikann; Grove, 1980; Grove, Oper; Kosch, Theaterlex.; Kutsch–Riemens, 3. Aufl. 1997; Nagl–Zeidler–Castle 2, s. Reg.; Wurzbach; Allg. Theater-Lex. oder Enc. alles Wissenswerthen …, hrsg. von K. Herloßsohn, H. Marggraff und Anderen, 6, 1841; J. E. Prothke, Das Leopoldstädter Theater, von seiner Entstehung an skizziert, 1847; C. L. Costenoble. Aus dem Burgtheater. 1818–37. Tagebuchbll. …, 1–2, 1889, s. Reg.; R. Fürst, Raimunds Vorgänger … (= Schriften der Ges. für Theatergeschichte 10), 1907, s. Reg.; G. Rudolfer, Der „Staberl“ der Wr. Volksbühne, phil. Diss. Wien, 1922; O. Rommel, Die Alt-Wr. Volkskomödie, (1952), s. Reg.; A. Bauer, Opern und Operetten in Wien (= Wr. musikwiss. Beitrr. 2), 1955, s. Reg.; N. J. Mayer, I. S. und die Entwicklung des Schauspielstils von Laroche zu Raimund im Wandel der theatral. Gattungen des Volkstheaters, phil. Diss. Wien, 1965; E. Futter, Die bedeutendsten Schauspielerinnen des Leopoldstädter Theaters in der Zeit von 1800 bis 1830, 1–2, phil. Diss. Wien, 1965; F. Stieger, Opernlex. 2/3, 1978; Es ist ewig schad’ um mich. F. Raimund und Wien (= Kat. des Hist. Mus. der Stadt Wien 208), Wien 1996, S. 317ff.; P. S. Ulrich, Biograph. Verzeichnis für Theater, Tanz und Musik 2, 1997.
(E. Marktl)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 11 (Lfg. 54, 1999), S. 388f.
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