Segantini, Giovanni; früher Segatini (1858-1899), Maler

Segantini Giovanni, Maler. Geb. Arco, Tirol (Italien), 15. 1. 1858; gest. Schafberg bei Pontresina (Schweiz), 28. 9. 1899. Hieß bis 1879 Segatini; Sohn des Hanfhändlers Agostino S. und von Margherita de Girardi. S., der früh seine Eltern verlor, verlebte eine unstete Jugend, erlernte 1870–73 das Schuhmacherhandwerk in einer Erziehungsanstalt für Minderjährige, wurde aber bereits dort von einem Anstaltsgeistlichen in seinen zeichner. Fähigkeiten gefördert.1873–74 arbeitete er im Photo- und Drogeriegeschäft seines Halbbruders Ludovico bei Trient, ab 1875 beim Dekorationsmaler Luigi Tettamanzi in Mailand. Im selben Jahr begann er an der Accad. di Belle Arti Kurse zu belegen, freundete sich mit dem Maler Emilio Longoni an und pflegte Kontakte zu den Künstlern der lombard. Schule der Scapigliatura. 1881 ließ er sich mit seiner Lebensgefährtin Bice Bugatti (1862–1938) in der Brianza nieder, einer ländl. Gegend zwischen Mailand und dem Comer See. Hier entstanden dunkeltonige Gemälde in akadem. Tradition: Stilleben, Porträts, ländl. Szenen mit Hirten und Schafen. Mit seiner Familie kehrte S. 1886 nach Mailand zurück, um noch im selben Sommer im bündner. Savognin Wohnsitz zu nehmen, wo die Magd der Familie S., Barbara Uffer (Baba), sein bevorzugtes Modell wurde. Durch die Vermittlung seines Mailänder Kunsthändlers und Freundes Vittore Grubicy de Dragon erhielt er Kenntnis von der Farbtheorie des französ. Pointillisten Georges Pierre Seurat und entwickelte seine charakterist. Technik des Divisionismus. 1894 zog die Familie nach Maloja (Graubünden). Während der Arbeit am Mitteltl. seines Engadiner Alpentriptychons „Werden – Sein – Vergehen“ starb S. auf dem Schafberg an einer akuten Bauchfellentzündung. S., Exponent des europ. Symbolismus, Mitbegründer und wichtigster Vertreter des italien. Divisionismus, gehörte zu den bekanntesten Künstlern seiner Zeit; seine Bedeutung ist begründet in der einmaligen Verbindung einer akrib. beobachteten Natur mit einem übergreifenden symbolist. Gehalt seiner Gemälde. Er ist – neben seinem Zeitgenossen Ferdinand Hodler – der herausragende Maler der Schweizer Bergwelt. Es gelingt ihm, die minuziös erfaßte Gebirgslandschaft direkt in allegor. Bildvisionen von außerordentl. Leuchtkraft einfließen zu lassen. Gilt S. mit seinen alpinen Visionen als einer der Hauptvertreter des europ. Symbolismus des Fin de Siècle (Ausst. in Amsterdam, Berlin, Brüssel, Mailand, Paris, Turin, Venedig, Wien usw.), so weist ihn der von ihm wesentl. mitgeprägte italien. Divisionismus als Erneuerer der Malerei aus. Die Technik des Divisionismus – das Nebeneinander feinster Pinselstriche in reiner Farbe – ist sein entscheidender Beitr. zur Avantgarde der Jh.Wende. Darin liegt auch das Geheimnis der Leuchtkraft seiner Gemälde. Diese revolutionäre Erweiterung maler. Möglichkeiten war von großem Einfluß auf die nachfolgende Künstlergeneration (von Klimt bis Kandinsky), und selbst die italien. Futuristen beriefen sich auf S. als Vorbild. Entsprechend seiner Wohnorte wird S.s Œuvre traditionell in drei Phasen eingeteilt: Die tonale Brianza-Periode, die divisionist. Zeit in Savognin und das in Maloja entstandene monumentale Spätwerk. Von seinen vier Kindern wurde der 1882 geb. Sohn Gottardo Maler, Radierer und Kunstschriftsteller, Mario (1885–1916) Bildhauer, Maler und Radierer.

W.: Die zwei Mütter, 1889, Die Liebe am Brunnen des Lebens, 1896 (beide Civica Galleria d’Arte Moderna, Milano); Frühmesse 1884–85, Ave Maria bei der Überfahrt, 1886, Rückkehr vom Wald, 1890, Mittag in den Alpen, 1891 (alle Otto Fischbacher G. S. Stiftung, Segantini Mus., St. Moritz); An der Stange, 1886 (Galleria Nazionale d’Arte Moderna, Rom); Glaubenstrost, 1895/96 (Hamburger Kunsthalle); Strickendes Mädchen, Meine Modelle, beide 1888, Alpweiden, 1893–95, Die Strafe der Wollüstigen, 1886/97, Die bösen Mütter, 1896/97, Die Eitelkeit, 1897 (alle Kunsthaus Zürich); Lichtkontrast, 1887 (Mus. Royaux des Beaux-Arts de Belgique, Brüssel); Das Pflügen, 1886–90 (Neue Pinakothek, München); Die bösen Mütter, 1894 (Österr. Galerie, Wien); Die Strafe der Wollüstigen, 1891 (The Walker Art Gallery, Liverpool); Das Alpentriptychon: Werden – Sein – Vergehen, 1896–99 (Segantini Mus., St. Moritz); usw.
L.: Thieme–Becker; G. S. Zeichnungen, mit Beitrr. von U. Perucchi-Petri und A.-P. Quinsac, Zürich – Milano – München 1978 (Kat.); G. S., 1858–99, mit Beitrr. von M. Faber u. a., Wien – Innsbruck 1981 (Kat.); A.-P.Quinsac, S. Cat. generale, 2 Bde., 1982; S. Mostra antologica, hrsg. von G. Belli, Trento – Milano 1987 (Kat., mit W. und L.); G. S. 1858–99, mit Beitrr. von D. Lardelli u. a., Zürich – Wien 1990 (Kat., mit L.); The Dictionary of Art 28, 1996; Biograf. Lex. der Schweizer Kunst, 1998; G. S., hrsg. von B. Stutzer und R. Wäspe, St. Gallen – St. Moritz 1999 (Kat. mit Bild, Ausst.Verzeichnis und weiterführender L.); S. G. ..., Venezia 2000 (Kat.); Segantini Mus., St. Moritz, Schweiz.
(R. Wäspe)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 12 (Lfg. 55, 2001), S. 108f.
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