Seifert, Josef (Leo) (1890-1950), Kulturhistoriker, Philosoph und Slawist

Seifert Josef (Leo), Kulturhistoriker, Religionsphilosoph und Slawist. Geb. Wien, 21. 4. 1890; gest. ebd., 31. 8. 1950. Sohn eines Privatbeamten. Nach Absolv. der Staatsrealschule (1908–13) stud. S. Slawistik (bei Jagić, s. d., und Václav Vondrák) und Germanistik an der Univ. Wien, mit einer Unterbrechung 1911 an der Karl Ferdinands-Univ. in Prag; 1913 Dr. phil. an der Univ. Wien. Infolge seiner Kriegsteilnahme (zuletzt Oblt.) scheiterte sein Vorhaben, sich für Slaw. Philol. zu habil. 1918 im Innenmin., 1920 der Presseabt. des Bundeskanzleramtes zugeteilt, arbeitete S. im Referat für die slaw. Ztg. und wurde 1921 in den Bundespressedienst übernommen; ab 1923 war er in der Chiffre-Abt. des Außenamtes, der er ab 1935 als Leiter vorstand. 1922 veröff. er eine kompakte „Literaturgeschichte der Čechoslowaken, Südslawen und Bulgaren“. S.s weitgefächerte Interessen reichten zunächst von der reinen Literatur- bis hin zur Kultur- und Religionsgeschichte der Slawen. Darüber hinaus beschäftigten ihn die zeittyp. Fragen nach Volkstum, Rasse und Vaterland, wobei er eine dezidiert österr.-kath. und den Ständestaat, trotz dessen absolutist. Tendenz, affirmierende Position einnahm, während er dem Nationalsozialismus reserviert gegenüberstand. In zahlreichen Artikeln äußerte er sich zur hist. und gegenwärtigen Rolle der Slawen, als deren „Kulturidee“ er die Neuordnung der menschl. Ges. in herrschaftsloser Form sah. In der von P. Wilhelm Schmidt SVD im Rahmen der von diesem initiierten Wr. Schule der Völkerkde. gepflegten Kulturkreislehre fand S. seine eigenen Forschungsergebnisse über die christl. Häresien des Abendlandes bestätigt, die er sämtl. als ursprüngl. slaw. Bewegungen beschrieb. Unter Zugrundelegung der Kulturkreislehre entstanden ethnopsycholog. Stud., die 1931 in dem umfangreichen Werk „Die Weltrevolutionäre ...“ ihre endgültige Form fanden. Unmittelbar nach dem „Anschluß“ wurde S. als Fachmann für Kryptol. ins Oberkmdo. der Wehrmacht nach Berlin transferiert. Nach Kriegsende nahm er seine Tätigkeit im Wr. Außenmin. (Leiter der Abt. Chiffre- und Übers.dienst) wieder auf; er starb im aktiven Dienst im Rang eines Legationsrates. In den letzten Lebensjahren engagierte er sich bei der Doz.runde der neugegründeten Wr. Kath. Akad. und beschäftigte sich intensiv mit ethnograph. Religions- und Mythenforschung. Aus der Analyse der Gottesbegriffe und -symbole in den verschiedenen Kulturen der Welt zog S. den Schluß, daß es in der Zukunft die Aufgabe des Papsttums sein werde, die Weisheit Indiens und Chinas zur Schaffung einer einheitl. Weltkultur zu integrieren. Die Veröff. seiner Stud. in dem großen Spätwerk „Die Sinndeutung des Mythos. Die Trinität in den Mythen der Urvölker“, 1954, erfolgte erst vier Jahre nach S.s Tod und fiel damit schon in die Endphase der Wr. Schule der Völkerkde., als sich die jüngeren Forscher bereits von der Kulturkreislehre abwandten.

W.: Schiller und die böhm. Bühne, phil. Diss. Wien, 1912; Kirche und Staat bei den Slawen, in: Hochland 18, 1920/21; Die slaw. Kulturidee, ebd. 20, 1922/23; Die Rolle der Slawen in der Geschichte Europas (= Vorträge und Abhh. der Österr. Leo-Ges. 33/34), 1926; Von Bogomil über Hus zu Lenin, in: Z. für Völkerpsychol. und Soziol. 3, 1927; Die slaw. „Friedfertigkeit“, in: Völkerpsychol. Charakterstud. (= Forschungen zur Völkerpsychol. und Soziol. 3), 1927; Der Weber als Revolutionär, in: Neue Ordnung 6, 1930; Die Tragödie des Mannes. Große Faschingsoper, um 1935 (Ms.); Gedankenspiegel, 1936 (Ged., Autorschaft nicht gesichert); Abhh. in Hochland 18, 1920/21 – 20, 1922/23, 25, 1927/28 und Neue Ordnung 6, 1930 – 8, 1932, 10, 1934; Rezensionen in Literar. Handweiser, 1924–30, und Z. für Völkerpsychol. und Soziol., 1926–30; etc.
L.: Jb. der Wr. Ges.; Kosch, 2. Aufl. 1956; Kürschners Dt. Literatur-Kal. 46, 1932; Mitt. der Wr. Kath. Akad. 4, 1953, S. 6ff. (mit Bild); AdR, Bundesmin. für auswärtige Angelegenheiten, UA, alle Wien.
(E.-M. Hüttl-Hubert)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 12 (Lfg. 56, 2002), S. 137f.
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