Senn, Johann Chrysostomos (1795-1857), Schriftsteller

Senn Johann Chrysostomos, Schriftsteller. Geb. Pfunds (Tirol), 1. 4. 1795; gest. Innsbruck (Tirol), 30. 9. 1857; röm.-kath. Sohn des in demokrat. Sinn polit. aktiven, 1813 ermordeten Landrichters Franz Michael S., S.s Mutter beging 1802 Selbstmord. S. besuchte als Zögling des Stadtkonvikts (ab 1807) das Akadem. Gymn. in Wien, erteilte danach Privatunterricht und stud. Phil., hörte aber auch Jus und Med. Ab 1815 gehörte er dem Kreis um Schubert (s. d.) an, welcher S.s Ged. „Selige Welt“und „Schwanengesang“ vertont hat. Dieser burschenschaftl. beeinflußte Kreis wurde polit. verdächtig, S. 1820 verhaftet und 1821 mittellos nach Tirol abgeschoben; das Erteilen von Privatunterricht wurde ihm verboten. Auch in Innsbruck stand er einem tendenziell burschenschaftl. Kreis nahe. 1821/22 Schreiber für einen Anwalt, 1823 Eintritt in die Armee bei den Kaiserjägern, war er u. a. Lehrer an der Kadettenschule, 1829 Lt., 1832 i. R. Bis 1836 war S. Mitarbeiter des Anwalts Alois Fischer (s. d.), seines Cousins, in Salzburg, dann wieder in Innsbruck, wo er sich als Winkeladvokat durchbrachte. Der schwierige, völlig verarmte Mensch – der „Tiroler Grabbe“ (H. v. Gilm) – verfiel zunehmend dem Alkohol. Wichtiger als seine (wenig zahlreichen) literar. Arbeiten und einige geograph. Aufsätze dürften ihm seine philosoph. Stud. gewesen sein, zumal über den damals in Österr. wenig rezipierten Hegel: ein kurzer, vermutl. noch in Wien entstandener Kommentar zur „Phänomenologie des Geistes“; die ebenfalls philosoph. argumentierenden „Glossen zu Göthe’s Faust“ (1845). 1838 veröff. S. eine, wohl von der Zensur verstümmelte, Smlg. seiner – wenig bedeutenden – Ged.; bekannt geblieben ist allein „Der rote Tiroler Adler“. Polit. Verse in liberal-antiklerikalem Sinn kursierten nur handschriftl. S. hatte Kontakte zu den zeitgenöss. Tiroler Literaten, etwa zu Gilm (s. Gilm zu Rosenegg). Adolf Pichler (s. Pichler v. Rautenkar) hat sich um seinen Nachruhm bemüht, aber schon 1896 galt S.als vergessen; selbst in Tirol ist er kaum noch bekannt.

W.: Ged., 1838; Glossen zu Göthe’s Faust, 1. und 2. Aufl. 1862; etc.
L.: H. Klein, in: Innsbrucker Nachrichten, 23. 8. – 6. 9. 1921; ADB; Hall–Renner; Killy; Kosch; Nagl–Zeidler–Castle 3, s. Reg. (mit Bild); Wurzbach; A. Pichler, in: Die Gartenlaube, 1860, S. 764; ders., Gesammelte Werke 12, 1908, S. 99ff.; S. M. Prem, Geschichte der neueren dt. Literatur in Tirol, 1922, s. Reg.; A. Brandl, in: Archiv für das Stud. der neueren Sprachen und Literaturen 154, 1928, S. 161ff.; M. Enzinger, ebd., S. 190ff.; ders., ebd. 156, 1929, S. 169ff.; ders., in: Veröff. des Mus. Ferdinandeum 10, 1930, S. 117ff.; J. Leitgeb, in: Wort im Gebirge 4, 1952, S. 183ff. (mit Epigrammen und Ged. aus S.s Nachlaß); E. Kofler, in: Der Schlern 53, 1979, S. 306ff.; H. Seidler, Österreichischer Vormärz und Goethezeit (= Sbb. Wien, phil.-hist. Kl. 394), 1982, s. Reg.; G. Pfaundler, Tirol Lex., 1983; H. H. Hahnl, Vergessene Literaten, (1984), S. 35ff. (mit Bild); B. Otto, in: Verdrängter Humanismus – Verzögerte Aufklärung (2), ed. M. Benedikt u. a., 1992, S. 877ff. (mit Druck von S.s Hegelkommentar); Schubert-Lex., ed. E. Hilmar – M. Jestremski, (1997); E. Hastaba, in: SammelLust. 175 Jahre Tiroler Landesmus. Ferdinandeum, 1998, S. 92f. (mit Bild); M. Kohlhäufl, Poet. Vaterland. Dichtung und polit. Denken im Freundeskreis F. Schuberts, 1999, S. 39f., 46f., 124, 159, 288, 305, 307; I. Dürhammer, Schuberts literar. Heimat, 1999, s. Reg. (mit Bild als Frontispiz).
(S. P. Scheichl)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 12 (Lfg. 56, 2002), S. 177f.
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