Slataper, Scipio; Ps. Publio Scipioni (1888-1915), Schriftsteller

Slataper Scipio, Ps. Publio Scipioni, Schriftsteller. Geb. Triest, Freie Stadt (Trieste, Italien), 14. 7. 1888; gest. Podgora, Görz und Gradisca (Piedimonte del Calvario, Italien), 3. 12. 1915 (gefallen). – S. entstammte einer Triestiner Gründerzeitfamilie mit slawo-dalmatin. Wurzeln väterlicher- und italien.-dt. mütterlicherseits. Sein Vater, irredentist. eingestellt, scheiterte 1897 als Kaufmann, wurde dann Gmd.rat für die Lista nazionale. S. begeisterte sich ebenfalls früh für patriot. Ideen, schlitterte 1903 jedoch in eine psych. Krise. Ein Aufenthalt im Karst half ihm diese zu überwinden, wobei die slowen. Umgebung tiefen Eindruck bei ihm hinterließ. 1905 näherte er sich dem Triestiner Sozialismus, veröff. in der Ztg. „Il Lavoratore“ seine ersten Beitrr. und frequentierte den Circolo di studi sociali. Sein erster literar. Text, die Prosaskizze „Il freno“, erschien 1907 in „Il Palvese“. Dessen Hrsg., Ferdinando Pasini, vermittelte S. an Battisti (s. d.), in dessen „Vita Trentina“ weitere Prosatexte S.s erschienen. Mit Marcello Loewy, mit dem er Hebbels (s. d.) „Judith“ ins Italien. übers., mit Giani Stuparich sowie mit den drei Freundinnen Anna, Elody und Gigetta entwickelten sich wichtige Briefwechsel. 1908–12 stud. S. in Florenz am Ist. di Studi Superiori und wurde Mitarb. der Kulturz. „La Voce“, in der er 1909 fünf „Lettere triestine“ publ., die radikal die Perspektiven der Stadt zur Diskussion stellen. V. a. der Essay „Trieste non ha tradizioni di coltura“, in dem Triest als „doppelte Seele“ aus Ökonomie und Nation definiert wird, in der die ökonom. Interessen überwiegen und bloß rhetor. Nationalbewußtsein existiere, führte zu heftigen Reaktionen. In der Irredentismus-Debatte der „Voce“ (1910) bezog S. Position für Italianität aber gegen kolonisator.-nationalist. Ambitionen, indem er einen Dialog mit der slaw. Realität forderte. 1912 erschien sein Hauptwerk, „Il mio Carso/Mein Karst“, eine lyr. Autobiographie in Prosa, die als ästhet. avantgardist. wie kulturpolit. brisantes Werk gilt. S. brachte darin seine persönl., aber auch die Unruhe seiner Generation und die ungewissen Perspektiven Triests zur Sprache. Mit einer Arbeit über Ibsen, der ersten italien. überhaupt („Ibsen“, 1916), beendete er 1912 seine Stud. S.s Interesse für Ibsen und Hebbel (dessen Tagebuch er 1912 übers.) brachte ihn in Distanz zum zeitgenöss. Ästhetizismus und Historismus eines d’Annunzio oder Croce und bestärkte seine moral. akzentuierte Vitalismus- und Aktivismus-Idee. Reisen führten ihn 1911 nach Wien, Prag und Berlin; 1913–14 wirkte er als Lektor in Hamburg. Nach seiner Rückkehr plädierte er in der Ztg. „Il Resto del Carlino“ für den Kriegseintritt Italiens, meldete sich freiwillig und fiel in den Kämpfen um Görz (Gorizia).

W.: Dal Brennero alle Alpi Dinariche, 1915; Scritti letterari e critici, ed. G. Stuparich, 1920; Scritti politici, ed. ders., 1925; Lettere, ed. ders., 1931, Neuaufl.: Alle tre amiche, 1958; Appunti e note di diario, ed. ders., 1953; Scritti politici 1914–15, ed G. Baroni, 1977; Lettere triestine, ed. E. Guagnini, 1988; Mein Karst und andere Schriften, übers. und ed. P. H. Kucher, 1988; Mein Karst. Mit einer Auswahl autobiograph. Prosa, übers. und ed. I. Pollack, 1988; etc.
L.: G. Stuparich, S. S., 1922, Neuaufl. 1950; A. M. Mutterl, S. S. (= Civiltà letteraria del Novecento 1/111), 1965, Neuaufl. 1981; R. Luperini, S., 1977; G. A. Camerino, La persuasione e i simboli. Michelstaedter e S., 1993; S. Arosio, Scrittori di frontiera. S. S., G. e C. Stuparich (= La Corona d’argento 6), 1996; M. Wolf, in:Translationswiss., ed. M. Kadric u. a., 2000, S. 115ff.; R. Lunzer, Triest. Eine italien.-österr. Dialektik, 2002, S. 21ff.
(P.-H. Kucher)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 12 (Lfg. 57, 2004), S. 349
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