Spitzer, Daniel; Ps. Esau ben Naphtali, Itzig Kneipeles, Adele Silbergeld (1835–1893), Schriftsteller und Journalist

Spitzer Daniel, Ps. Esau ben Naphtali, Itzig Kneipeles, Adele Silbergeld, Schriftsteller und Journalist. Geb. Wien, 3. 7. 1835; gest. Meran, Tirol (Merano/Meran, Italien), 11. 1. 1893; mos. Sohn von Benjamin S. (gest. Wien, 5. 10. 1874), der, aus Nikolsburg (Mikulov) zugezogen, 1830 in Ober St. Veit (Wien) eine Fabrik für Musterdrucke gründete. S. besuchte 1845–53 das Wr. Akad. Gymn., stud. danach Jus an der Univ. Wien (1857 Absolutorium, 1860 3. Rigorosum) und arbeitete anschließend bis 1868 als Konz. in der Nö. HGK in Wien. Bereits seit der Gymn.zeit lieferte S. vereinzelt Beitrr. für die Münchner „Fliegenden Blätter“ und den Berliner „Kladderadatsch“, schrieb aber auch Ged., von denen einige 1858/59 in „Illustrirtes Familienbuch zur Unterhaltung …“ des Österr. Lloyd erschienen. Während seiner Beamtentätigkeit verf. S. sozial- und nationalökonom. Aufsätze, u. a. für die Z. „Wanderer“ sowie 1863 die gegen die hohen Frachtsätze der Bahn beim Kohlentransport gerichtete Broschüre „Ein Mahnruf an die österreichischen Eisenbahnverwaltungen“; die von S. 1864/65 zusammengestellten „Lieder eines Wiener Flaneurs“ blieben unvollendet. Seine humorist.-satir. Begabung zeigte sich früh: Ab 1857 Mitarb. des Wochenbl. „Figaro“, ließ er 1862–70 in diesem Bl. den jüd. Räsoneur Itzig Kneipeles aus Nikolsburg krit.-sarkast. Briefe an einen Freund in Tarnów schreiben. Im Juni 1865 erschien sein erstes satir. Wochenfeuilleton „Wiener Spaziergänge“ im Lokalanzeiger der „Presse“, bereits im August 1866 übersiedelte er damit ins Feuilleton des Hauptbl. Ende 1871 wechselte S. zur „Deutschen Zeitung“; von November 1873 bis April 1892 erschienen die „Wiener Spaziergänge“ fast wöchentl. in der „Neuen Freien Presse“, einige auch in der Berliner Z. „Die Gegenwart“. Anfangs eine literar.-satir. Wochenschau, wurden die Wr. Spaziergänge bald sprachl. und themat. präziser, wobei S. in einer assoziativen Verknüpfungstechnik polit., wirtschaftl. und kulturelle Ereignisse, Kuriositäten sowie Reiseerlebnisse behandelte. 1869–86 veröff. er ausgewählte „Wiener Spaziergänge“ in 6 Bde. (Neuausg. 1986–91). Seine satir. Novelle „Das Herrenrecht“ (1877) (die auch im Ausland großen Anklang fand) und die gegen den Wagnerkult gerichtete Veröff. „Verliebte Wagnerianer“ (1880) erlebten zahlreiche Aufl. S., u. a. mit Brahms, E. Kuh und Kürnberger (alle s. d.) befreundet, war ab 1865 Mitgl. des Journalisten- und Schriftsteller-Ver. Concordia und wurde von Karl Kraus (s. d.) – neben Speidel (s. d.) und Kürnberger – als bedeutendster Schriftsteller der Wr. Tagespresse gewürdigt. Anfang 1891 erkrankte S. schwer und übersiedelte im Oktober desselben Jahres nach Meran.

W.: s. u. Kosch.
L.: NFP, 12., 15. 1. 1893; Die Presse, 9. 1. 1993 (Beilage, m. B.); ADB; Czeike; Giebisch–Gugitz; Habsburgermonarchie 8/2, s. Reg.; Hall–Renner; Killy; Kosch; Stern–Ehrlich, bes. S. 181; Wurzbach; L. Kusche, R. Wagner und die Putzmacherin …, 1967, S. 11ff., 21f., 37f.; Sensationen des Alltags, ed. W. R. Langenbucher, 1992, S. 23ff., 301ff.; W. Obermaier, D. S. (1835–93). Wr. Spaziergänge (= Kat. der 227. Wechselausst. der WStLB), Wien 1993 (Kat., m. B.); M. Nöllke, D. S.s Wr. Spaziergänge (= Münchener Stud. zur literar. Kultur in Dtld. 20), 1994; H. Kernmayer, Judentum im Wr. Feuilleton (1848–1903), 1998; Ein Stück Österr. 150 Jahre „Die Presse“, ed. J. Kainz – A. Unterberger, 1998, s. Reg., bes. S. 158ff. (m. B.); U. Tanzer, in: Catholicism and Austrian Culture, ed. R. Robertson – J. Beniston (= Austrian Stud. 10), 1999, S. 65ff.; dies., in: Ambivalenz des kulturellen Erbes, ed. M. Csáky – K. Zeyringer (= Paradigma: Zentraleuropa 1), 2000, S. 135ff.; Metzler Lex. der dt.-jüd. Literatur, 2000 (m. B.); UA, Wien.
(W. Obermaier)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 13 (Lfg. 59, 2007), S. 37f.
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