Spurzheim, Karl (1810–1872), Neurologe

Spurzheim Karl, Neurologe. Geb. Wien, 7. (8.). 4. 1810; gest. ebd., 6. 10. 1872. Aus gutbürgerl. Haus stammend, Neffe von Johann Christoph S. (s. u.). S. stud. ab 1828 Med. an der Univ. Wien; 1835 Dr. med. Nach Stud.aufenthalten in Dtld., Belgien und Frankreich, wo er v. a. Irrenanstalten besuchte, war S. ab 1837 als Konzeptspraktikant bei der Nö. Landesregierung sowie gleichzeitig im AKH Wien und in der Gebäranstalt tätig. 1840 Sekundararzt im „Lazareth“, das seit 1803 dem Narrenturm als Filiale angegliedert war, wurde er 1841 prov. Primararzt einer Filiale des AKH im Versorgungshaus. 1842 zum prov. Primararzt der Irrenabt. des Versorgungshauses in Ybbs (Ybbs an der Donau) ernannt, übernahm er die Irrenanstalt 1858 als Dir. S.s Verdienst war es, aus der verwahrlosten Anstalt durch baul. Veränderungen und verbesserte Kost einen würdigen Pflegeort für Geisteskranke zu schaffen. Außerdem minderte er die Zwangsmaßnahmen durch Beschäftigungstherapie. Als kurzfristiges Mitgl. des Frankfurter Parlaments 1848 trat er dort für die Gleichberechtigung der Staatsbürger und die Achtung ihrer Rechte ein. 1869 als Nachfolger J. G. v. Riedels (s. d.) zum Dir. der Wr. Landes-Irrenanstalt berufen, konnte er an dieser sein Reformwerk fortsetzen. Unter seiner Ägide wurde das No-restraint-System eingeführt. S. war Mitgl. mehrerer wiss. Ver. und Präs. des Ver. für Psychiatrie und forens. Psychol. in Wien sowie Präs. des Landessan.rates. Aufgrund seines Einflusses wurde der psychiatr. Unterricht an der Univ. Wien forciert. Seine wenigen Publ. erschienen im „Jahrbuch“ und im „Wochenblatt der k. k. Gesellschaft der Ärzte“. Für seine Verdienste ausgez., erhielt er den Franz Joseph-Orden (1859). Sein Onkel Johann Christoph S. (eigentl. Johann Gaspar S.), Phrenologe, (geb. Longuich, Erzbistum Trier/Dtld., 31. 12. 1776; gest. Boston, Mass., USA, 10. 11. 1832) stud. ab 1791 Theol. in Trier, ehe er aufgrund der Kriegswirren nach Wien flüchtete und 1799 Med. an der Univ. Wien inskribierte; 1804 Dr. med. Mit seinem Lehrer, dem Phrenologen, Franz Joseph Gall, reiste er durch Europa und verf. zahlreiche Schriften. Ab 1813 kam es immer wieder zu Unstimmigkeiten zwischen Gall und Johann Ch. S., sodaß sich letzterer von Gall distanzierte und i. d. F. eigenständig publ. Weiters hielt er zunächst in Frankreich, Großbritannien und Irland phrenolog. Vorlesungen, ehe er 1832 als Vortragender nach Nordamerika ging, wo er an Typhus starb. Johann Ch. S. galt als Theoretiker, besaß aber große anatom. Geschicklichkeit. Innerhalb der Psychiatrie vertrat er die patholog.-anatom. Richtung, indem er in seinen Forschungen über die Anatomie des Gehirns und die Kranioskopie Seelenstörungen immer auch als Krankheiten des Gehirns auffaßte.

W.: s. u. Kreuter (auch für Johann Ch. S.).
L. (tw.auch für Johann Ch. S.): NFP, 12. 10. 1872; ADB; DBE; Hirsch; Kreuter (m. W. u. L.); Lesky, s. Reg.; Wurzbach; Allg. Wr. med. Ztg. 17, 1872, S. 499f.; WMW 22, 1872, Sp. 1162f.; J. Berze, in: Dt. Irrenärzte, ed. T. Kirchhoff, 1, 1921, S. 230ff.; Materialiensmlg. ÖBL, UA, beide Wien; Mitt. Gudrun Hammer, Ybbs, NÖ.
(D. Angetter)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 13 (Lfg. 59, 2007), S. 57
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