Stein, Ernst (Ernest) Edward Aurel; Ps. Gottlieb Hellseher (1891–1945), Historiker und Byzantinist

Stein Ernst (Ernest) Edward Aurel, Ps. Gottlieb Hellseher, Historiker und Byzantinist. Geb. Jaworzno, Galizien (Polen), 19. 9. 1891; gest. Freiburg (Fribourg, Schweiz), 25. 2. 1945; aus jüd. Familie, ab 1932 röm.-kath. Sohn des Dir. eines Kohlenbergwerks, Neffe von Sir Marc Aurel S. (s. d.). S. besuchte 1902–10 das Gymn. in Wien und stud. an der Univ. klass. Philol. und Alte Geschichte bei L. M. Hartmann, W. Kubitschek, Bormann (alle s. d.) und Adolf Wilhelm; 1914 Dr. phil. Nach Militärdienst 1915–17 habil. er sich 1919 an der Univ. Wien. 1927–29 war S. an der Röm.-German. Komm. des Dt. Archäolog. Inst. in Frankfurt am Main mit der Klassifizierung rhein. Ziegelstempel der röm. Kaiserzeit beschäftigt, danach Doz. für Alte Geschichte an der Univ. Berlin, 1931–32 ao. Prof. für alte und byzantin. Geschichte ebendort. Mit Sorge und Konsequenz reagierte er auf den erstarkenden Nationalsozialismus: Unter seinem Ps. G. Hellseher verf. er ein Pamphlet gegen das nationalsozialist. Regime, kündigte seine Stellung und verließ Dtld. 1932–34 war er, unterstützt vom belg. Byzantinisten Henri Grégoire, Gastprof. an der Univ. Brüssel. Nach der „Machtergreifung“ Hitlers (s. d.) im Jänner 1933 publ. er nur mehr auf Französ.; 1934–35 war er Gastprof. an der Catholic Univ. of America (Washington, D. C.), 1937 wurde für ihn ein Lehrstuhl für byzantin. Geschichte an der Univ. Löwen eingerichtet. 1940 mußte S. jedoch Belgien mit seiner Frau Jeanne (Eheschließung 1923) unter falschem Namen (M. Sernet) verlassen. Trotz der äußerl. bedrängten Situation und dem ständigen Ortswechsel innerhalb seines Zufluchtslandes Frankreich arbeitete er am zweiten Bd. seiner „Histoire de l’Émpire byzantin“, die ihm angebotene Stelle als Bibliothekar an der Univ. Saint-Joseph in Beirut trat er wegen der polit. Verhältnisse nicht an. Nach seiner Flucht in die Schweiz 1942 war S. in Genf als Priv.Doz. tätig.

W. (auch s. u. Goubert; Palanque, 1949): Stud. zur Geschichte des byzantin. Reiches, 1919; Untersuchungen über das officium der Prätorianerpräfektur seit Diokletian, 1922, Neudruck 1962; Geschichte des spätröm. Reiches 1: Vom röm. zum byzantin. Staate, 1928, auch französ.; Die k. Beamten und Truppenkörper im röm. Dtld. unter dem Prinzipat (= Beitrr. zur Verwaltungs- und Heeresgeschichte von Gallien und Germanien 1), 1932; Un projecteur sur l’Allemagne, in : Le Flambeau 15, 2, 1932; Histoire du Bas-Empire 2: De la disparition de l’Empire d’Occident à la mort de Justinien (476–565), ed. J.-R. Palanque, 1949; Opera minora selecta, 1968; zahlreiche Beitrr., u. a. in A. Pauly – G. Wissowa, Real-Enc. der class. Altertumswiss., Klio, Wr. Stud., Hermes, Byzantion, Gnomon. – Ed.: E. Ritterling – E. Groag, Fasti des röm. Dtld. unter dem Prinzipat (= Beitrr. zur Verwaltungs- und Heeresgeschichte von Gallien und Germanien 2), 1932.
L.: Basler Nachrichten, 1., Neue Zürcher Ztg., 10. 3. 1945; Hdb. der Emigration 2; Hdb. jüd. AutorInnen; O. Tschumi, in: La Suisse primitive 9, 1945, S. 79f.; P. Goubert, in: Études byzantines 3, 1945, S. 274ff. (m. W.); J.-R. Palanque, in: Histoire du Bas-Empire 2, 1949, S. VIIff. (m. W. u. L.); V. Losemann, Nationalsozialismus und Antike (= Hist. Perspektiven 7), 1977, s. Reg.; M. Grünbart, in: Historicum. Z. für Geschichte, 2001/2002, S. 35, 41; F. Fellner – D. A. Corradini, Österr. Geschichtswiss. im 20. Jh., 2006; UA, Wien.
(M. Grünbart)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 13 (Lfg. 60, 2008), S. 149
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