Steinschneider, Moritz (1816–1907), Bibliograph, Orientalist und Rabbiner

Steinschneider Moritz, Bibliograph, Orientalist und Rabbiner. Geb. Proßnitz, Mähren (Prostějov, Tschechien), 30. 3. 1816; gest. Berlin, Deutsches Reich (Dtld.), 24. 1. 1907; mos. Sohn des Talmudgelehrten und Hebraisten Jakob S. (1781–1856), bei dem er den ersten Unterricht erhielt. Nach einer traditionellen Talmudausbildung, zuerst in Proßnitz, dann in Nikolsburg (Mikulov), ging er 1833 nach Prag, wo er neben Talmudstud. die Normalschule besuchte und die Lehrbefähigung für Hebr. erwarb. 1836–38 stud. er Arab., Syr. und Hebr. in Wien, dann, da er als Jude keine weitere Aufenthaltserlaubnis erhielt, in Leipzig und schließl. ab 1839 in Berlin, wo er Leopold Zunz kennen lernte, den wesentl. Begründer der Wiss. des Judentums. 1842–45 lebte er wieder in Prag, wo er an einer jüd. Mädchenschule unterrichtete und als Privatlehrer tätig war. Ab 1845 abermals in Berlin, erlangte er 1848 das preuß. Bürgerrecht, wurde 1850 in Leipzig zum Dr. phil. prom. und unterrichtete ab 1859 bis zu seinem Tod an der Veitel-Heine Ephraimschen Lehranstalt, einer Einrichtung für Talmud und jüd. Wiss. Er beteiligte sich aktiv am jüd. Gmd.leben Berlins und leitete 1869–90 auch die Jüd. Mädchenschule. Den entscheidenden Einschnitt in der wiss. Arbeit S.s bedeutete der 1848 erhaltene Auftrag, einen Kat. der hebr. Druckschriften der Bibliotheca Bodleiana, Oxford, zu erstellen. Sein über 3.100 Sp. in Großformat umfassender „Catalogus librorum Hebraeorum in Bibliotheca Bodleiana“ (1852–60) begründete seinen Ruhm als „Vater der hebräischen Bibliographie“ und ist ein bis heute wegen seiner Informationsfülle und Genauigkeit unersetzl. Nachschlagewerk. Die hebr. Bibliographie blieb für S.s Arbeit und Forschung sein Leben lang zentrales Interesse. Er katalogisierte auch die hebr. Smlg. bzw. Hss. der Bibl. von Leiden (1858), der Münchener Staatsbibl. (1875 bzw. 1895), der Stadtbibl. Hamburg (1878) und der kgl. Bibl. Berlin (2 Bde., 1878–97), an der er 1869 bis zu seinem Tod „Hilfsarbeiter“ war. Auch gab er die Z. „Ha-Mazkir. Hebräische Bibliographie …“ heraus (1858–82, ab 1869 gem. mit Julius Benzian). Seine bibliograph. Arbeiten waren für S. Basis für seine Erforschung der Rolle der Juden im Mittelalter als Kulturmittler zwischen arab. und christl. Welt. Schon 1877 erschien die große Stud. „Polemische und apologetische Literatur in arabischer Sprache zwischen Muslimen, Christen und Juden“, 1893 veröff. er das monumentale Werk „Die hebräischen Übersetzungen des Mittelalters und die Juden als Dolmetscher …“. Ein weiteres Zentrum von S.s Arbeit waren seine Stud. zur Geschichte der Naturwiss. und der Med. Er ed. u. a. 1864 den frühesten hebr. Traktat zur Geometrie, arbeitete zur „Mathematik bei den Juden“ (1893–99), erstellte eine Bibliographie der „Toxikolog. Schriften der Araber bis Ende des XII. Jahrhunderts“ (1871–73) und befaßte sich mit den med. Schriften des Maimonides. Neben solchen Spezialstud., deren Ziel eine allg., weit über das Judentum hinausreichende, Kulturgeschichte des Mittelalters war, wagte sich S. aber auch an eine Darstellung der jüd. Literatur, die in Engl. erschien: „Jewish literature from the eighth to the eighteenth century“ (1857) und auch eine Einleitung in Talmud und Midrasch enthielt. Dt. erschien seine „Allgemeine Einleitung in die jüdische Literatur des Mittelalters“ erst 1903–05. S. erhielt von der preuß. Regierung 1894 den Titel eines Hon.-Prof.; 1898 Dr. h. c. des Columbia College, New York. Sein Werk umfaßt über 1.400 Titel. Mehrfache Nachdrucke seiner großen Werke bezeugen die nach wie vor ungebrochene Aktualität eines der größten Vertreter der Wiss. des Judentums.

W. (auch s. u. Goldberg): Ges. Schriften, ed. H. Malter – A. Marx 1, 1925.
L.: Enc. Jud.; Jew. Enc.; Jüd. Lex. (m. B.); Universal Jew. Enc.; Wurzbach; A. Goldberg, in: Z. für hebr. Bibliographie 5, 1901, S. 189ff., 9, 1905, S. 90ff., 13, 1909, S. 94f.; A. Marx, in: Stud. in Jewish History and Booklore, 1944, S. 346ff.; S. 364ff.; ders., Essays in Jewish Biography, 1947, S. 112ff.; S. Baron, History and Jewish Historians, 1964, S. 276ff.; A. Paucker, in: Leo Baeck Inst. Yearbook 11, 1966, S. 242ff.; I. Schorsch, in: Hebrew Union College Annual 53, 1983, S. 241ff.; J. H. Schoeps, in: Jb. des Inst. für Dt. Geschichte 14, 1985, S. 333ff.; H. I. Schmelzer, in: Occident and Orient. A Tribute to the Memory of A. S., ed. R. Dán, 1988, S. 319ff.; M.-L. Steinschneider, in: Archiv Bibliographia Judaica. Jb. 2–3, 1990, S. 195ff.; M. S. Briefwechsel mit seiner Verlobten A. Auerbach 1895–49, ed. R. Heuer – M.-L. Steinschneider, 1995; C. H. Manekin, in: Jewish Studies Quarterly 7, 2000, S. 141ff.; G. K. Hasselhoff, in: Moses Maimonides …, ed. ders. – O. Fraisse, 2004, S. 449ff.; C. H. Manekin, in: Study and Knowledge in Jewish Thought, ed. H. Kreisel, 2006, S. 239ff.
(G. Stemberger)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 13 (Lfg. 60, 2008), S. 198f.
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