Stelzhamer, Franz Xav.; Ps. Urey, Franz v. Piesnham (1802–1874), Schriftsteller

Stelzhamer Franz Xav., Ps. Urey, Franz v. Piesnham, Schriftsteller. Geb. Großpiesenham (OÖ), 29. 11. 1802; gest. Henndorf (Henndorf am Wallersee, Sbg.), 14. 7. 1874; röm.-kath. Sohn eines Kleinhäuslers. – Ursprüngl. für den Priesterberuf bestimmt, besuchte S. 1815–21 das Gymn. zu St. Peter in Salzburg. 1820 lernte er die Kaufmannstochter Antonie Nicoladoni kennen, seine erste große Liebe, die ihn zu dem hochdt. Ged.zyklus „Liebesgürtel“ (1855 als „Gedichte“ publ.) inspirierte. 1822 absolv. S. einen Kurs für Privat- und Hauslehrer in Graz, 1823/24 das Philosophicum in Salzburg, 1825 begann er ein Jusstud. in Graz, das er 1827 an der Univ. Wien fortsetzte, jedoch nicht abschloß. In großer Not lebend, verdingte er sich 1828–32 als Hauslehrer, wurde 1832 Priesterseminarist in Linz, verließ das Seminar allerdings 1833 wieder. In dieser Zeit entstanden seine ersten Mundartged., die durch die Vertonungen von Eduard Zöhrer noch vor ihrer Drucklegung populär wurden. 1834/35 weilte S. in Salzburg, wo er sich entschloß, als freier Schriftsteller (Hochsprache) zu leben, 1835 reiste er nach München, um Schauspieler zu werden und einen Verleger zu finden. Da beides scheiterte, trat er im Winter 1835/36 ein halbjähriges Schauspielengagement am Theater in Passau an. 1836 erschienen erstmals zwei Mundartged. S.s (in „Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode“), 1837 sein erster Bd. Mundartged., „Lieder in obderenns’scher Volksmundart“, der in Wien von der literar. interessierten Öffentlichkeit begeistert aufgenommen wurde. 1838 kehrte S. nach OÖ zurück und war in Linz journalist. tätig. Ab Herbst 1839 im Braunhirschengrund (Wien 15), lebte er hier bis 1842 von Beitrr. u. a. für renommierte Vormärzjournale und Taschenbücher. Er verf. Erz., Rezensionen etc. im zeittyp. Plauderton. 1841 erschienen „Neue Gesänge in obderenns’scher Volksmundart“, die ihn als Volksdichter im Sinne der von Herder, der Sturm- und Drang-Bewegung und der Romantik initiierten Aufwertung der Volkspoesie bestätigten. In dem von Stifter red. Sammelbd. „Wien und die Wiener“ (1844) erschienen zwei Beitrr. von S. Zwischen 1842 und 1845 unternahm er Vortragsreisen durch Österr. und Süddtld. und reüssierte mit seinen Mundartged. in Münchner Künstler- und Adelskreisen. 1845–51 lebte er mit seiner Familie in Ried im Innkreis. 1845 erschienen drei Bde. hochdt. Prosa, der Auswahlged.bd. „Volkslust“ sowie in „Aurora“ S.s erste „Dorfgeschichte aus dem Riederwalde“, 1846 folgte der dritte Mundartged.bd. „Neue Gedichte in obderenns’scher Volksmundart“, allerdings mit wenig Resonanz. Unter dem Titel „Heimgarten“ erschienen 1847 bei Heckenast (s. d.) zwei Bde. hochdt. Erz. und ein Bd. „Jugendnovellen“. Beim Ausbruch der Revolution teilte S. die anfängl. Begeisterung vieler konstitutionell gesinnter Zeitgenossen und kommentierte die wichtigsten Ereignisse des Revolutionsjahrs in den „Politischen Volksliedern“. Nach 1848 gelang es ihm nicht mehr, im österr. Literaturbetrieb Fuß zu fassen, deshalb ging er 1851 nach München. Die hier von ihm im Selbstverlag veröff. Publ., u. a. „Das Bunte Buch“ (1852) mit der antisemit. Hetzschrift „Jude“ oder „Neue Jugend-Novellen“ (1854), blieben unverkäufl. Neben dynast. Ged. erschienen im selben Zeitraum drei Dorfgeschichten („Reisel“, „Das böse Weib und der Teufel“, beide 1853, „Haschuk“, 1854), in denen sich S. vom romantisierenden Epigonentum seiner früheren Prosatexte löste und eine eigenständige, den Dorfgeschichten Berthold Auerbachs und den Darstellungsprinzipien des poet. Realismus nahestehende Erzählweise entwickelte. 1855 kehrte S. nach Österr. zurück und verbrachte die letzten neunzehn Lebensjahre im wesentl. in Salzburg und Henndorf. 1868 erschien sein letzter Mundartged.bd. „Neueste Lieder und Gesänge in obderenns’scher Volksmundart“ mit dem großen Reimmärchen „Königin Noth“, in dem S. sein restaurativ vorrevolutionäres Verständnis sozialer Mißstände als eines nicht veränderbaren Konstituens des Daseins noch einmal zur Darstellung brachte. Bereits zu S.s Lebzeiten setzte die Legendenbildung um Werk und Autor ein. Obgleich sich die Rezeption seines Mundartwerks (Lieder, Gsangá, Márln, Hexameterepen) aufgrund sprachl. Barrieren und ideolog. bedingter Selektionsprozesse weitgehend auf OÖ beschränkte, gilt S. im literar. Kanon als bedeutendster Mundartdichter Österr. Viele seiner hochdt. Ged. und Prosatexte sind hingegen ledigl. von literaturgeschichtl. Relevanz. 1952 wurden drei Strophen von S.s „s’Haimátgsang“ (1841) zur oö. Landeshymne erklärt.

W. (auch s. u. Dt. Schriftsteller-Lex.): Ausgewählte Dichtungen, ed. P. K. Rosegger, 4 Bde., 1884; Ausgewählte Dichtungen in oö. Mundart, ed. R. Greinz, 1905; Ausgewählte mundartl. Dichtungen, ed. A. Matosch, 2 Bde., 1905–08; Lieder und Ged., ed. H. C. Artmann, 1981; Kleinigkeiten, ed. M. Huszar, 1993; Gedanken sind wie Vögel, Lesebuch, ed. H. Gessl, 1994; Sämtl. Dichtungen in seiner Mundart, ed. K. Gehbauer, 1995; Ausgewählte Werke, ed. L. Hörmann, 2 Bde., o. J.; Gross-Piesenham, ed. M. Huszar, o. J.; digitalisierte Erstausg.: alo austrian literature online, 2002–12.
L.: ADB; Hall–Renner; Killy; Kosch; Nagl–Zeidler–Castle 2, s. Reg.; Wurzbach; H. Commenda, F. S. Leben und Werk, 1953 (m. B. u. W.); S. Bengesser, F. S. zwischen Legende und Wahrheit (= Schriften zur Literatur und Sprache in OÖ 4), (1996), (m. B., W. u. L.); F. S. Wanderer zwischen den Welten (= Literatur im Stifter-Haus 15), ed. S. Bengesser, Linz 2002 (Kat., m. B., W. u. L.); „nur fort zu dir“, F. S. und Betty S. – Briefwechsel, ed. dies. – G. Achleitner, 2002; Dt. Schriftsteller-Lex. 1830–80, bearb. H. Jacob, Bd. St-V, 2007; Der Fall F. S. Antisemitismus im 19. Jh., ed. P.-M. Dallinger, 2014.
(S. Bengesser)  
Zuletzt aktualisiert: 10.12.2019  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 8 (10.12.2019)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 13 (Lfg. 60, 2008), S. 205f.
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