Strauß (Strauss), Johann (Vater) (1804–1849), Komponist und Kapellmeister

Strauß (Strauss) Johann (Vater), Komponist und Kapellmeister. Geb. Leopoldstadt, NÖ (Wien), 14. 3. 1804; gest. Wien, 25. 9. 1849. Sohn eines Wirts jüd. Herkunft, Vater von Johann (Sohn), Josef und Eduard S. (alle s. d.) sowie von acht weiteren Kindern aus der außerehel. Beziehung mit der Näherin Emilie Trampusch, Schwiegervater von Henriette (Jetty), Großvater von Johann S. (Enkel) (beide s. d.), ab 1825 verehel. mit der Wirtstochter Anna Streim (1801–1870) (vermutl. 1846 geschieden). – Neben einer Buchbinderlehre, die er als Geselle abschloß, nahm S. Violinunterricht beim Theatergeiger Johann Pollischanzky und begann seine Musikerlaufbahn in verschiedenen Kleinensembles wie jenen von J. Lanner (s. d.) bzw. den Gebrüdern Scholl. 1824 trat er seinen Wehrdienst bei den Hoch- und Deutschmeistern an, wurde jedoch bald beurlaubt. 1825 erschien bei Diabelli (s. d.) seine erste gedruckte Komposition, „Sieben Walzer in F“. Als Mitgl. der Lanner-Kapelle spielte S. bei Auftritten in Kleinbesetzung die Bratsche. 1827 gründete er sein eigenes Orchester, an dessen Spitze er in verschiedenen Vorstadtlokalen musizierte, war bereits im Jahr darauf neben Lanner Wiens beliebtester Tanzkapellmeister und löste diesen 1829 mit Unterstützung seines neuen Verlegers Haslinger (s. d.) als Musikdir. im Sperl, Wiens führendem Unterhaltungslokal, ab. Von 1831 an spielte S. mit seinem Orchester auch bei Hofbällen, 1833–37 und nach Lanners Tod (1843) sogar ausschließl. 1832 war er zudem Kapellmeister des 1. Wr. Bürgerrgt. 1835 wurde S. wegen verbotenen Glücksspiels und einer feuergefährl. Handlung verurteilt, 1836 mit einer Geldstrafe wegen Spielens von Tanzmusik in verbotener Zeit belegt, erhielt aber dennoch im selben Jahr das Bürgerrecht der Stadt Wien. Eine intensive Reisetätigkeit führte ihn ab 1833 u. a. nach Berlin (1834), wo er vor dem preuß. Kg. und dem russ. Zaren spielte, nach Süddtld. (1835), nach Prag, wo er 1836 anläßl. der Krönung Ferdinands I. auftrat, nach Norddtld., in die Niederlande und nach Belgien. Im Zuge einer großen Konzertreise 1837–38 (Dtld., Niederlande, Belgien, Frankreich, Großbritannien, Irland) spielte er in Paris vor führenden französ. Musikern (Hector Berlioz verf. eine enthusiast. Kritik) und bei Hof; in London wirkte er an den Krönungsfeierlichkeiten von Kg. Victoria mit. Nach dem Debüt von Johann S. (Sohn) unternahm S. regelmäßig Herbsttourneen (u. a. nach Nordmähren, Berlin, Breslau/Wrocław und Hamburg). 1848 machte er zunächst Zugeständnisse an den revolutionären Zeitgeist, ehe er sich auf die Seite der Kaisertreuen schlug; Ausdruck davon war u. a. der „Radetzky-Marsch“. Kurz nach der Rückkehr von einer Konzertreise, die ihn nach London geführt hatte, starb S. Zu einer Zeit tätig, in der das Tanzvergnügen behördlicherseits gefördert wurde, verstand es S. in bes. Weise, die gestiegenen Ansprüche des Publikums zu befriedigen. Aus musikal. Sicht war es v. a. die geniale Behandlung des rhythm. Elements, gepaart mit straffer Orchesterdisziplin, die die Faszination seiner über 300 Kompositionen ausmachte. Für den Erfolg maßgebl. waren aber auch S.’ charismat. Auftreten als Vorgeiger, sein Verständnis für die Vermarktungsmöglichkeiten von Tanzmusik und sein Organisationstalent. Viele der von ihm eingeführten Neuerungen wirken modellhaft bis in die Popularmusik der Gegenwart weiter. 1841 wurde S. Ehrenmitgl. des Philharmon. Ver. in Nürnberg, 1846 erhielt er den eigens für ihn geschaffenen Titel eines Hofballmusik-Dir.

Weitere W. (auch s. u. Grove; MGG; Weinmann; Schönherr; SAV): Galoppe, u. a.: Seufzer-Galopp, 1828, Chineser-Galopp, 1828, Loreley-Rhein-Klänge, 1844, etc.; Walzer; Quadrillen; Polkas; Märsche; Potpourris; etc. – Gesamtausg.: Zweyte rechtmässige Ausg., Original Gesammtausg., (1836); Gesammtausg., ed. J. S. (Sohn), (1887–89); Sämtl. Werke in Wiedergabe der Originaldrucke, ed. E. Hilmar – H. Schneider, 1987; Orchesterwerke, ed. Ch. Pollack, 2003ff.
L.: Czeike; Grove, 1980, 2001 (beide m. B., W. u. L.); MGG (m. B. u. W.); MGG, 2. Ausg., Personentl. 16, 2006 (m. B., W. u. L.); oeml; Riemann, 12. Aufl.; Wurzbach; E. Strauss, „Erinnerungen“, 1906, passim; E. W. Engel, J. S. und seine Zeit, 1911; F. Lange, J. Lanner und J. S., 2. Aufl. 1919; M. Schönherr – K. Reinöhl, J. S. Vater, 1954; A. Weinmann, Verzeichnis sämtl. Werke von J. S. Vater und Sohn, (1956); H. Jäger-Sunstenau, J. S. …, 1965, s. Reg.; F. Racek, J. S. (Sohn), Wien 1975 (Kat., m. B.); M. Hürlimann, Die Walzer-Dynastie S. …, 1976, passim; M. Schönherr – J. Ziegler, Aus der Zeit des Wr. Walzers, 1981; M. Schönherr, Lanner, Strauß, Ziehrer. Synopt. Hdb. der Tänze und Märsche, 1982; N. Linke, Musik erobert die Welt …, 1987, passim; Die Fledermaus. Mitt. des Wr. Inst. für S.-Forschung 1ff., 1990ff.; P. Kemp, Die Familie S. …, 2. Aufl. 1991, s. Reg.; N. Linke, „Es mußte einem was einfallen“, 1992; Wr. Bonbons 1ff., 1993ff.; K. Pahlen, J. S. und die Walzerdynastie, 1997; Österr. Musikz. 54, 1999, H. 1–2, 59, 2004, H. 2; F. Miller, J. S. Vater, 1999; Vienna Music. Journal of the Johann S. Society of Great Britain, 2000ff.; N. Rubey, Des Verfassers beste Laune, 2004; S.-Allianz-Verzeichnis (SAV), 2008ff.
(Th. Aigner)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 13 (Lfg. 62, 2010), S. 377f.
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