Sulzer, Salomon (1804–1890), Kantor, Sänger und Komponist

Sulzer Salomon, Kantor, Sänger und Komponist. Geb. Hohenems (Vbg.), 30. 3. 1804; gest. Wien, 17. 1. 1890 (Ehrengrab: Wr. Zentralfriedhof); mos. Stammte aus der wohlhabenden Hohenemser Händlerfamilie Levi, die 1813, gezwungen durch das bayer. Judenedikt (Hohenems gehörte 1805–14 zu Bayern), den dt. Namen Sulzer annahm, in Erinnerung an den Exilort Sulz (gehörte zur österr. Herrschaft Feldkirch) der Familie 1676–1744; Vater von Marie, Henriette, Sophie S. (alle s. u.), →Joseph und Julius sowie Großvater von Rudolf S. (beide s. u. Joseph S.). – S. wurde bereits 1815 Vorsinger in Hohenems, ging aber 1816 nach Endingen, wo er von Kantor Lippmann ausgebildet wurde, den er als Hilfssänger u. a. auf Reisen durch die Schweiz und das Elsass begleitete. Seine weitere Ausbildung erhielt er durch den Hohenemser Kantor Salomon Samuel (später Eichberg genannt) sowie möglicherweise in Karlsruhe. 1820 wurde er Kantor in Hohenems, ging aber 1825 nach Wien, wo er bei →Ignaz v. Seyfried Kontrapunkt und Komposition stud. 1826–81 war er Oberkantor (Chasan) an der neuerbauten Synagoge in der Seitenstettengasse. 1840 gab er unter dem Titel „Schir Zion“ einen Zyklus von Synagogalgesängen für alle Sabbat- und Festtage heraus, gleichsam ein musikal. Gegenstück zu den liturg. Reformen (Wr. Minhag) →Isak Noa Mannheimers. „Schir Zion“ enthält neben eigenen Werken auch 37 Stücke anderer Komponisten (u. a. →Franz Peter Schuberts 92. Psalm sowie Werke von →Josef Drechsler, →Joseph Fischhof, Seyfried, Wenzel Wilhelm Würfel und Franz Volkert) und war in Europa und Nordamerika weit verbreitet (nicht zuletzt durch S.s zahlreiche Schüler). Mit Rücksicht auf die orthodoxen Mitgl. verzichtete S. auf eine Orgelbegleitung. 1865 folgte ein zweiter Bd. (Reprint beider Bde. 1954, Neuausg. 1983). S. gilt als wichtigster Reformator des Synagogalgesangs im 19. Jh. Nachfolgende Kantorengenerationen kritisierten allerdings seinen Stil als zu angepasst an die nichtjüd. Umgebung, gewissermaßen als Produkt einer musikal. Assimilation. Viele Wien-Reisende (u. a. →Franz v. Liszt) besuchten die Synagoge, um S.s Stimme zu hören. Er war 1845–47 auch Prof. an der Männergesangschule des KdM. Neben seiner Kantorentätigkeit trat S. als überaus geschätzter Sänger (Bariton) bei öff. und privaten Konzerten auf, u. a. 1846 mit Schuberts „Allmacht“, wobei er von Liszt am Klavier begleitet wurde, obwohl ihm dies ab 1837 vertragl. verboten war. 1848 trat er wie so viele andere Komponisten mit einigen Revolutionsliedern hervor (u. a. „National-Garden-Lied“, Text →Max Emanuel Stern, „Lied der Todtenkopflegion“, Text Rudolf v. Gussmann) und leitete gem. mit →Josef Rudolf Schachner die nur kurz bestehende, aus Studenten gebildete Liedertafel der akadem. Legion. 1862/63 erhielt er die goldene Medaille für Kunst und Wiss., 1868 wurde er Ritter des Franz Joseph-Ordens. Außerdem wurden ihm das taxfreie Bürgerrecht der Stadt Wien sowie von der Accad. St. Cecilia in Rom der Titel maestro verliehen. Von seinen 16 Kindern waren neben Julius und Joseph noch weitere musikal. tätig: Marie S., verheiratete Belart (geb. Wien, 14. 4. 1828; gest. ebd., 22. 3. 1892), erhielt ihre Ausbildung am Mailänder Konservatorium bei Felice Ronconi und debüt. an der Scala. Sie war mit dem Tenor Buenaventura Belart verheiratet. Nach internationaler Bühnentätigkeit (Frankreich, Spanien, Italien, Wien 1852: Hofoper) kehrte sie als Witwe nach Wien zurück und war hier Gesangslehrerin (1863–66? an der neu errichteten Hofopernschule). Henriette S., verheiratete Biacchi (geb. Wien, 24. 9. 1832; gest. ebd., 13. 11. 1907), stud. wie Marie am Mailänder Konservatorium und sang mit ihr in Frankreich, Spanien und Italien. 1858–62 war sie Mitgl. der Hofoper. Sie begleitete ihren Ehemann, den Sänger Annibale Biacchi, nach Mexiko Stadt, wo dieser bis 1867 Dir. der italien. Oper war und sie als Sängerin (Alt) auftrat. 1871 war sie wieder in Wien, danach lebte sie bei Florenz und in Genua. Sophie S., verheiratete Altschul (geb. Wien, 4. 4. 1840; gest. New York, N.Y./USA, ca. 1885), war ebenfalls Sängerin und als Gesangslehrerin in New York tätig.

Weitere W. (s. auch Avenary, 1985, S. 283ff.): Dudaїm. Kleines liturg. Gesangbuch zum Gebrauch für Schulen, kleinere Gmd. und häusl. Andacht, 1860; „Zikkaron“. Gedenkbll. XX Gesänge für den israelit. Gottesdienst, aus dem Nachlass hrsg. von Joseph S., 1890; Psalmvertonungen; Lieder; Chöre. – Publ.: Denkschrift an die hochgeehrte Wr. israelit. Cultus-Gmd., 1876 (wiedergegeben bei Avenary, 1985).
L.: NFP, 18. (A.), 19. 1. 1890 (Parte); WZ, 18. 1. 1890; Oesterr.-ung. Cantoren-Ztg., 21. 1. 1890 (m. B.), 1. 2. 1890, 21. 2. 1890, 11. 3. 1890; Eisenberg 1; Grove, 2001; Kat. der Portrait-Smlg. (auch für Marie und Henriette S.); Kutsch–Riemens, 4. Aufl. 2003 (auch für Marie und Henriette S.); MGG II; oeml (auch für die anderen Familienmitgl.); Wininger; Wurzbach (auch für die anderen Familienmitgl.); E. Kulke, S. S., Prof. und Obercantor, 1866 (m. B.); E. Hanslick, Geschichte des Concertwesens in Wien 2, 1870, Reprint 1979, S. 400ff.; Gedenkbll. an Ober-Cantor S. S., 1882; L. A. Frankl, in: Allg. Ztg. des Judenthums 55, 1891, S. 35f.; A. Friedmann, Der synagogale Gesang, 1904, Reprint 1978, bes. S. 76ff.; M. Steiner, S. S. und die Wr. Judengmd., 1904; P. Minkowsky, Der Sulzerismus …, 1905; A. Z. Idelsohn, Jewish Music, 1929, Reprint 1992, s. Reg.; E. Brody, in: Schubert Studies, ed. E. Badura-Skoda – P. Branscombe, 1982, S. 47ff.; H. Avenary, in: FS O. Wessely, ed. M. Angerer u. a., 1982, S. 39ff.; Kantor S. S. und seine Zeit, ed. H. Avenary, 1985 (m. W.; auch für die anderen Familienmitgl., m. B., auch von Henriette S.); A. Lubin, in: Musica Judaica 8, 1985/86, S. 23ff.; S. S. …, red. B. Purin, Bregenz 1991 (Kat., m. B.); U. Aigner, Die Synagogenmusik am Beispiel S. S.s …, DA Wien, 1994; A. L. Ringer, in: FS Ch.-H. Mahling 2, ed. A. Beer u. a., 1997, S. 1135ff.; M. Jahn, Die Wr. Hofoper von 1848–70, 2002, s. Reg. (für Marie und Henriette S.); E. Schmidt, From the Ghetto to the Conservatoire, phil. Diss. Oxford, 2004, bes. S. 78ff., 285f.; B. Boisits, in: Musikwelten – Lebenswelten, ed. B. Borchard – H. Zimmermann, 2009, S. 91ff. (m. B.).
(B. Boisits)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 14 (Lfg. 63, 2012), S. 45f.
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