Tomek, Wácslaw Wladiwoj (Václav Vladivoj) Ritter von (1818–1905), Historiker und Politiker

Tomek Wácslaw Wladiwoj (Václav Vladivoj) Ritter von, Historiker und Politiker. Geb. Königgrätz, Böhmen (Hradec Králové, CZ), 31. 5. 1818; gest. Prag, Böhmen (Praha, CZ), 12. 6. 1905. Sohn eines Schusters; ab 1847 mit Ludmila T., geb. Dáňa, verheiratet. – Nach dem Abschluss des Gymn. stud. T. an der Univ. Prag Phil. (1833–35) und Jus (1835–39). Daneben war er als Privatlehrer in der Familie →Pavel Josef Šafaříks sowie des Dir. des Benediktiner-Herrenguts Politz an der Mettau (Police nad Metují) Josef Dáňa tätig. Danach trat er die Gerichts- und Rechtsanwaltspraxis an, stud. gleichzeitig Geschichte und unterrichtete die Kinder →František Palackýs. Letzterer empfahl ihn an den Prager Magistrat, der einen jurist. versierten Historiker für die Abfassung der Geschichte der Hauptstadt suchte (T.s „Dějepis města Prahy“ erschien 1855–1901 in 12 Bde.), sowie an die Familie Thun und Hohenstein (1840), um deren Archiv in Tetschen (Děčín) zu ordnen. Die sich daraus ergebenden Kontakte waren für T.s weitere polit. und akadem. Karriere wichtig. 1841 trat er in den Dienst der Stadtverwaltung von Prag, gab seine Beamtenkarriere aber bald auf und widmete sich der Geschichte und der Publizistik. Palacký betraute ihn mit Red.arbeiten an seiner Geschichte von Böhmen, außerdem arbeitete T. mit →Karel Havlíček und anderen Persönlichkeiten der tschech. Nationalbewegung zusammen. 1845 erschien seine Geschichte des österr. K.tums „Děje mocnářstwí Rakauského“ (dt. 1853). Im selben Jahr wurde er Sekr. der tschech.-nationalen aufklärer. Organisation und Verlagsges. Matice česká, 1847 Adjunkt Palackýs. I. d. F. erschienen seine „Kurzgefasste böhmische Sprachlehre für Böhmen“ (1848, 3. Aufl. 1851) sowie die „Geschichte der Prager Universität“ (tschech.: „Děje university Pražské“, 1849). 1848 war er Teilnehmer am Slawenkongress in Prag, 1848–49 stand er als RT-Abg. auf der Seite der konservativen und regierungstreuen Abg. und lehnte den demokrat. Radikalismus ab. Während des Neoabsolutismus vertrat er den Regierungskurs, publ. in der regierungsnahen „Wiener Zeitung“ (später auch als Red.mitgl.) und trennte sich aus polit. Gründen von seinen ehemaligen Freunden (Borovský, für kurze Zeit auch von Palacký). Unterstützt von →Leo Gf. v. Thun und Hohenstein, unternahm er 1850 eine Stud.reise nach Dtld. und Frankreich. Nach seiner Rückkehr wurde er ao. Prof. der österr. Geschichte an der Univ. Prag (den Unterricht nahm er 1851 auf), 1860 o. Prof. Auch polit. aktiv, vermittelte er 1861 jenes Treffen zwischen →Heinrich Jaroslav Gf. Clam-Martinic und →František Ladislav Frh. v. Rieger, bei dem die Allianz des tschech. gesinnten Adels und des liberal-patriot. Bürgertums mit dem Ziel vereinbart wurde, die Anerkennung des staatsrechtl. Status für die böhm. Kronländer zu erreichen. 1870 vermittelte er das Treffen zwischen Clam-Martinic und Rieger mit →Albert Eberhard Friedrich Schaeffle, in dem die Grundzüge des böhm.-österr. Ausgleichs (Fundamentalartikel) vereinbart wurden. 1861–94 war er Mitgl. des Prager Gmd.rats, gehörte lange Zeit dem böhm. LT an (1861–66, 1871–72, 1874–76, 1882–83, 1885–86, 1889–95) und war ab 1861 auch RR-Abg. (1863 legte er das Mandat nieder); 1885 lebenslängl. Mitgl. des HH. Aktiv strebte T. den nationalen Ausgleich zwischen Tschechen und Deutschen an der Prager Univ. an und wurde nach der Spaltung 1882 erster Rektor der tschech. Univ.; 1885/86 wiedergewählt. In den 1880er-Jahren schaltete sich T. in den Streit um die Echtheit der Königinhofer und der Grünberger Hs. ein und forderte ihre neuerl. wiss. Untersuchung. Als die Polemik den Charakter einer öff. Debatte erreichte, unterzeichnete er die Erklärung einer Gruppe von Historikern mit, die sich für die Echtheit der Hss. aussprachen, und führte einen scharfen Streit mit →Thomas (Garrigue) Masaryk. T. war Mitgl. zahlreicher Gelehrtenges. und Akad. (u. a. 1876 der k. Akad. der Wiss. in Wien, 1879 St. Petersburg, 1881 Krakau, 1891 Prag) und ab 1889 Präs. der kgl. böhm. Ges. der Wiss. 1882 Dr. h. c. der Univ. Prag. 1871 Reg.Rat, Besitzer des Ehrenzeichens für Kunst und Wiss., 1888 Komtur des Franz Joseph-Ordens, 1898 nob.

Weitere W.: s. LČL; Frič.
L.: Almanach Wien 56, 1906, S. 342ff.; LČL (m. W.); Otto; Wurzbach (s. Wenzel Wladiwoj T.); C. L. Frič, První rektor české univ. v Praze W. W. T., 1882 (m. B. u. W.); F. Kutnar – J. Marek, Přehledné dějiny českého a slovenského dějepisectví, 1997, s. Reg. (m. B.); J. Županič, in: Prague Papers on the History of International Relations 9, 2005, S. 71ff.; W. W. T., historie a politika (1818–1905), ed. M. Řezník, 2006; Archiv Národního muz., Archiv hlavního města Prahy, beide Praha, CZ.
(J. Županič)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 14 (Lfg. 66, 2015), S. 395f.
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