Tschermak von Seysenegg, Gustav Edler; eigentl. Czermak (1836–1927), Petrograph, Mineraloge und Chemiker

Tschermak von Seysenegg Gustav Edler, eigentl. Czermak, Petrograph, Mineraloge und Chemiker. Geb. Littau, Mähren (Litovel, CZ), 19. 4. 1836; gest. Wien, 4. 5. 1927 (Ehrengrab: Döblinger Friedhof); röm.-kath. Sohn des Gmd.beamten und Verwalters der Kommunal- und Kirchenkasse in Littau Ignaz Czermak (1791–1864), Schwiegervater des Zoologen →Karl Grobben; ab 1867 in 2. Ehe mit Hermine T., geb. Fenzl (1838–1929), Tochter des Botanikers →Eduard Fenzl, verheiratet, vier Kinder: u. a. der Physiologe Armin T.-Seysenegg (1870–1952) und der Botaniker Erich T.-Seysenegg (1871–1962). – T. besuchte das Gymn. in Olmütz (Olomouc), wo er seine Neigung zu den Naturwiss. entwickelte und Kontakt zu Johann Friedrich Schmidt, dem späteren Dir. der Athener Sternwarte, knüpfte, dessen Dogma der Exaktheit in den Naturwiss. nachhaltigen Einfluss auf T. hatte; außerdem gründete er einen naturgeschichtl. Studentenver. Ab 1856 stud. er Mathematik und Chemie an der phil. Fak. der Univ. Wien; 1860 Lehramtsprüfung aus Chemie und Naturgeschichte für Realschulen in Wien und Dr. phil. an der Univ. Tübingen; 1861 Priv.Doz. für Chemie und Mineral. an der Univ. Wien, hielt er zunächst Lehrveranstaltungen über physikal. Chemie und Kristallographie. Auf Empfehlung Franz Xaver Zippes erhielt T. 1862 die Stelle des zweiten, 1867 jene des ersten Kustosadjunkten am Hofmineralienkabinett; 1868–77 war er dort Dir. In seine Amtszeit fiel die Aufnahme des Inventars der Smlgg. dieses Kabinetts. 1868 wurde er trotz heftigen Widerstands von →Eduard Sueß und →Rudolf Kner zum ao. Prof. für Petrographie an der Univ. Wien ernannt; 1873 o. Prof. für Mineral. und Petrographie. Einen Ruf an die Univ. Göttingen 1876 lehnte er ab. Unter seiner Ägide übersiedelte 1884 die Lehrkanzel für Mineral. und Petrographie (formal auch als Mineralog.-Petrograph. Inst. bezeichnet) in das neue Univ.gebäude; 1883/84 Dekan der phil. Fak., 1893/94 Rektor der Univ. Wien, 1906 emer. Seine Arbeiten über das Trachytgebirge bei Banow (Bánov) in Mähren zählten zu T.s ersten petrograph. Veröff. in Österr. (1856–58). Weitere Fragestellungen behandelten die Untersuchung der Entstehungsabfolge der Mineralien in Graniten, die Beschreibung Quarz führender Plagioklasgesteine und die Untersuchungen über die Rolle des Olivins in unterschiedl. Gesteinen sowie die Serpentinisierung dieses Minerals. In die mikroskop. Untersuchung von Gesteinen zog T. den Pleochroismus (Mehrfarbigkeit von Mineralien bei Betrachtung aus unterschiedl. Blickrichtungen) als Hilfsmittel zur Unterscheidung der Minerale der Augit-, Amphibol- und Biotitgruppe heran. Diese frühen Vorarbeiten waren Grundlage für die von der k. Akad. der Wiss. in Wien preisgekrönte Monographie „Die Porphyrgesteine Österreichs aus der mittleren geologischen Epoche“, 1869. Für die Mineralgruppe der Feldspäte erbrachte T. den Beweis, dass die vielen bis dahin beschriebenen Feldspatvarietäten sich auf drei in der Natur vorkommende Verbindungen (Endglieder) – Kali-, Natron- und Kalkfeldspat – zurückführen lassen. Diese treten sowohl in Verwachsungen als auch als homogene isomorphe Mischkristalle in wechselnden Mengenverhältnissen auf. In diesem Zusammenhang stellte T. empir. Regeln bezügl. des gegenseitigen Ersatzes von unterschiedl. Elementen in den Kristallgittern auf. Unter T.scher Substitution wird daher in der neueren Literatur ganz allg. die Substitution von zwei oder mehreren Atomen (T.sche Komponente) mit verschiedener Ladung und unterschiedl. Ordnungszahl (aber gleicher Summe der Ladungen) verstanden. Diese Substitution führte des Weiteren zu einer isomorphen Verbindung im chem.-kristallograph. Sinn. Ab 1870 untersuchte T. den Mineralbestand von Meteoriten. Seine Arbeiten zu kristallograph. Themen bezogen sich u. a. auf die opt. Orientierung der Pyroxene und Amphibole, auf die Hemiedrie von Dolomit und Salmiak, Tracht und Habitus der Glimmer und Chlorite sowie die Beschreibung des Phänomens der gewundenen Bergkristalle. T. war 1871–89 Hrsg. der „Mineralogischen Mittheilungen gesammelt von Gustav Tschermak“ (als Beil. zum Jb. der geolog. Reichsanstalt). Ihm folgte 1890 sein Schüler →Friedrich Becke nach, die Z. wurde in „Tschermaks Mineralogische und Petrographische Mittheilungen“ umbenannt. Erwähnenswert ist auch T.s „Lehrbuch der Mineralogie“ (in 9 Aufl. 1883–1923, letzte gem. mit Becke; übers. von Giuseppe Grattarola als „Trattato di mineralogia“, mehrere Aufl. 1883–94). 1886 HR, war T. u. a. ab 1866 k. M., ab 1875 w. M. der k. Akad. der Wiss. in Wien, ab 1881 k. M. der kgl. Akad. der Wiss. in Berlin. Er zählte zu den Begründern der österr. Mineralog. Ges. (1901 1. Präs., ab 1910 Ehrenpräs.), erhielt 1898 das österr. Ehrenzeichen für Kunst und Wiss., wurde 1906 in den Adelsstand erhoben und 1907 mit dem Prädikat „Edler von Seysenegg“ ausgez.

Weitere W.: s. Eisenberg; Poggendorff 3; Wurzbach.
L.: NFP, 19. 4. 1906, 18., 20. 4. 1911, 18. 4. 1916 (A.), 4. 5. 1927 (A.); Almanach Wien 77, 1927, S. 187ff. (m. B.); Eisenberg 2 (m. W.); Inauguration Univ. Wien, 1927/28, 1927, S. 34ff.; Poggendorff 3 (m. W.) – 6; Wurzbach (m. W.); A. Himmelbauer, in: Verhh. der Geolog. Bundesanstalt, 1927, S. 149ff.; E. S. Dana, in: American Mineralogist 12, 1927, S. 293 (m. B.); J. W. Evans, in: Nature 120, 1927, S. 195f.; W. Sarjeant, Geologists and the history of geology 3, 1980; B. Fritscher, in: Jb. der Geolog. Bundesanstalt 144, 2004, S. 67ff.; F. Pertlik, in: Scripta Geo-Historica 4, 2010, S. 167ff.; UA, Wien (m. B.).
(F. Pertlik)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 14 (Lfg. 66, 2015), S. 484f.
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