Türkel, Siegfried Karl (1872–1947), Journalist

Türkel Siegfried Karl, Journalist. Geb. Wien, 19. 11. 1872; gest. ebd., 23. 11. 1947; 1896 aus der IKG ausgetreten, im selben Jahr evang. AB. Sohn des Hof-Spediteurs Johann T. (geb. 1833; gest. 19. 10. 1909) und von Emilie T., geb. Rosenberg (geb. 1848; gest. 22. 9. 1907); in 1. Ehe verheiratet mit Pauline (Paula) T., geb. Krifka (Kriwka), in 2. Ehe mit Gisela T., geb. Ascher. – Nach Absolv. des Gymn. und des Tirociniums stud. T. 1894–96 an der phil. Fak. der Univ. Wien und belegte Vorlesungen aus Pharmazie und Chemie. Da sich die finanzielle Lage der Familie aufgrund des Bankrotts des väterl. Speditionsunternehmens verschlechterte, sah er sich jedoch zur Aufgabe des Stud. gezwungen und wandte sich ab 1895 dem Journalismus zu. Zunächst arbeitete er für verschiedene lokale Bll. und trat schließl. auf Vermittlung von →Moritz Széps als Reporter ins „Wiener Tagblatt“ ein. Schon im nächsten Jahr erhielt er ein Angebot als Gerichtssaalreporter für das „Fremden-Blatt“ und nahm, um seine jurist. Kenntnisse zu verbessern, nebenbei das Stud. der Rechtswiss. auf (nicht nachweisbar). Zusätzl. arbeitete er als Wr. Korrespondent für verschiedene angesehene Regionalztg. Sein Stud. brachte ihn in engeren Kontakt zum früheren Justizminister und Präs. des Verwaltungsgerichtshofs →Friedrich Gf. Schönborn, der ihm eine Stelle als Parlamentsberichterstatter verschaffte. Als solcher erlebte er die turbulenten Jahre der Badeni-Krise mit und lernte zahlreiche führende Politiker (z. B. →Karl Lueger) persönl. kennen. Dank seiner Kontakte wurde er sowohl unter Ministerpräs. →Ernest v. Koerber als auch danach mehrfach als Vermittler zwischen Vertretern der Christl.sozialen und der Dt.nationalen auf parlamentar. Ebene bemüht. Eine Anstellung als Beamter lehnte T. ab, weil dies den Verlust seiner lukrativen Stellung als Korrespondent des „Daily Mail“ bedeutet hätte. Stattdessen übernahm er auf Angebot →Moritz Benedikts 1912 die parlamentar. Berichterstattung der „Neuen Freien Presse“, zu der schon vorher Verbindungen bestanden hatten. Von Ende November 1915 bis Juli 1917 leistete er Kriegsdienst bei der Landwehr. Nach Kriegsende nahm T. seine alte Position bei der „Neuen Freien Presse“ wieder ein und übernahm 1924 auch die Berichterstattung zur Wr. Kommunalpolitik. Als erfahrener Parlamentsred. genoss er das Vertrauen →Ignaz Seipels ebenso wie das seiner Nachfolger und verfügte über ausgez., für seine Ztg. wertvolle Kontakte zum Leiter des Bundespressediensts Eduard Ludwig. T. gehörte jahrelang der Vereinigung der parlamentar. Berichterstatter, der Organisation der Wr. Presse und 1934–38 auch dem Vorstand der Gewerkschaft der Journalisten an. Während des Nationalsozialismus diversen Verfolgungen ausgesetzt, übernahm er im Juni 1947 noch einmal für einige Monate die Parlamentsberichterstattung des ÖVP-Parteiorgans „Wiener Tageszeitung“ und wurde neuerl. zum Obmann der Vereinigung der parlamentar. Berichterstatter gewählt. 1929 erhielt T. das goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österr., 1936 wurde ihm der Ehrenring der Stadt Wien verliehen, 1946 Tit. Prof.

L.: WZ, 23. 11. 1932; NFP, 27. 2. 1936; Kleines Volksbl., 16., 22. 11. 1946; Neues Österr., 22. 11. 1946, 25. 11. 1947; Die Presse, 29. 11. 1947; E. Ludwig, Parlament und Presse, 1953; G. Steinberger, Vernichtung, Vertreibung, Anpassung und Aufstieg von Journalisten im „Ständestaat“ und im „Dritten Reich“ 2, phil. DA Wien, 1990, S. 438; A. L. Staudacher, Jüd.-protestant. Konvertiten in Wien 1782–1914, 2, 2004, S. 742; AdR, KA, UA, WStLA, alle Wien.
(Th. Venus)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 14 (Lfg. 66, 2015), S. 504f.
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>