Twardowski (Twardowski-Conrat), Ilse von; geb. Cohn, ab 1882 Conrat (1880–1942), Bildhauerin

Twardowski (Twardowski-Conrat) Ilse, geb. Cohn, ab 1882 Conrat, Bildhauerin. Geb. Wien, 20. 1. 1880; gest. München, Dt. Reich (D), 9. 8. 1942 (Suizid); mos., ab 1882 evang. AB. Tochter des Kaufmanns und Musikliebhabers Hugo Conrat, bis 1882 Cohn (1845–1906; mos., ab 1882 evang. AB), der die von →Johannes Brahms vertonten „Zigeunerlieder“ (op. 103) aufgezeichnet hatte, und dessen Frau Ida Conrat, bis 1882 Cohn (1857–1938), Schwester von Erica Tietze-Conrat (1883–1958), der ersten österr. Kunsthistorikerin, Nichte des Botanikers und Mikrobiologen Ferdinand Cohn (1828–1898); ab 1910 verehel. mit dem preuß. Gen.major Ernst v. T. (1849–1928). – T.s großbürgerl. Elternhaus war ein Treffpunkt von Musikern und Künstlern wie Brahms, Ferruccio Busoni, Alexander v. Zemlinsky, Fernand Khnopff und Charles van der Stappen. Nach häusl. Unterricht trat T. mit 16 Jahren in ein Mädchengymn. ein, absolv. die Matura und nahm daneben Privatstunden bei →Josef Breitner. 1898–1901 erhielt sie ihre künstler. Ausbildung in Brüssel bei dem Bildhauer van der Stappen; anschließend Rückkehr nach Wien. Ab 1901 beteiligte sie sich an internationalen Ausst. in München („Nasse Haare“, 2. goldene Medaille), Venedig (Biennale 1905) sowie an Ausst. der Wr. Secession (1902–05) und erhielt Aufträge für Porträts und Grabmäler (→Marie Boßhart-Demergel, Familie Gerhardus, Matzleinsdorfer Friedhof, beide 1902; Grabdenkmal für Brahms, Wr. Zentralfriedhof, 1903, unter Mitarb. des Brüsseler Architekten Victor Horta). Ab 1897/98 fertigte sie erste Entwürfe für eine Brahmsbüste (Johannes Brahms-Mus., Hamburg; Wien Mus.) sowie Porträtbüsten u. a. von Kn. →Elisabeth, →Theodor Gomperz, Alma Mahler-Werfel und Karl Wolfskehl. 1907 war sie in einer Kollektivausst. in der Galerie Miethke (Wien) vertreten, 1908 schuf T. für ihren Onkel das Bronzedenkmal „Der veredelnde Gärtner“ sowie eine Monumentalbank im Südpark von Breslau. Ab 1910 Vizepräs. der Vereinigung bildender Künstlerinnen Österr. (VBKÖ) und Mitorganisatorin der retrospektiven Ausst. „Die Kunst der Frau“ (Secession, 1910–11). Bis 1914 bereiste sie mit ihrem Mann den Orient und Europa und errang in der Röm. Jahresausst. (1914) großen Erfolg mit dem mehrfigurigen „Wäscherinnenbrunnen“ (Bronze), der von der Kgn.mutter Margherita v. Italien angekauft wurde. Ab 1914 wohnte das Ehepaar in München, wo T. ab den 1920er-Jahren für die Porzellanmanufaktur Allach arbeitete (Gefäße, Kleinskulpturen, Tierfiguren, Kamine etc.). Durch die Unterstützung der Mäzenin Ilse Leembruggen, Tochter von →Leopold v. Lieben, entstanden wieder großformatige Figuren und Denkmäler („Die Namenlosen“), die sie 1918–34 auf Ausst. in München, Berlin, Hamburg, London und Paris präsentierte. 1935 wurde T. die Aufnahme in die Reichskammer der bildenden Künste verweigert. I. d. F. flüchtete sie in die innere Emigration, zerstörte zahlreiche Arbeiten und übersiedelte nach München-Waldtrudering. Der angekündigten Deportation entzog sie sich 1942 durch Freitod. T. gilt als Vertreterin der Schule van der Stappens und schuf, ausgehend von der Antike und der italien. Renaissanceskulptur, Porträts und großformatige Figuren in Bronze, Stein und Terrakotta, die naturalist. Details und sanfte Bewegungen zeigen. Ihr Nachlass befindet sich im Stadtarchiv München.

Weitere W.: Figur der Gelehrsamkeit, 1912 (Börse, Wien; zerstört); Grabmal der Familie T., 1917 (Berliner Invalidenfriedhof; zerstört); Porträtrelief Zd. H. Skraup, 1920 (Arkaden, Univ. Wien).
L. (tw. s. u. Conrat): AKL; ÖKL; Thieme–Becker; Wr. Secession, 13./1902, 17./1903, 22./1905 (Kat.); A. Hirsch, Die bildenden Künstlerinnen der Neuzeit, 1905, S. 90ff.; Wr. Mode 19, 1905/06, S. 201ff. (m. B.); VBKÖ, 1910/11, 1912/13, 1930, alle Wien (Kat.); I. Dolinschek, Die Bildhauerwerke in den Ausst. der Wr. Sezession von 1898–1910, 1989, S. 68, 75, 198f.; S. Plakolm-Forsthuber, Künstlerinnen in Österr. 1897–1938, 1994, s. Reg.; dies., in: Die Frauen der Wr. Moderne, ed. L. Fischer – E. Brix, 1997, S. 179ff.; A. Mahler-Werfel, Tagebuch-Suiten 1898–1902, ed. A. Beaumont – S. Rode-Breymann, 1997, s. Reg.; S. Mraz, Die Bildhauerin I. T.-C., phil. DA Wien, 2003 (m. B.); S. Plakolm-Forsthuber, in: Frauen im Exil, ed. S. Bolbecher u. a., 2007, S. 51ff.; J. M. Johnson, The Memory Factory, 2012, s. Reg.; IKG, Wien.
(S. Plakolm-Forsthuber)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 67, 2016), S. 26f.
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