Ullmann, Viktor Josef; Ps. Josef Tannfels (1898–1944), Komponist, Dirigent, Pianist und Musikschriftsteller

Ullmann Viktor Josef, Ps. Josef Tannfels, Komponist, Dirigent, Pianist und Musikschriftsteller. Geb. Teschen, Schlesien (Cieszyn, PL), 1. 1. 1898; gest. KZ Auschwitz-Birkenau, Dt. Reich (PL), 18. 10. 1944; röm.-kath., ab 1919 konfessionslos. Sohn des Off. Maximilian U., der im 1. Weltkrieg zum Obst. befördert und nob. wurde (1918 Edler v. Tannfels), und der Malwine U., geb. Billitzer (gest. Prag, Protektorat Böhmen und Mähren / Praha, CZ, 21. 10. 1940), die beide aus jüd. Familien stammten und nach der Heirat zum kath. Bekenntnis konvertierten; in 1. Ehe mit Martha U., geb. Koref (gest. Vernichtungslager Treblinka, Gen.gouvernement/PL, 1942), in 2. Ehe mit Annie U., geb. Winternitz, in 3. Ehe mit Elisabeth U., geb. Frank, geschiedene Meissl, verheiratet. – In Teschen besuchte U. die erste Gymn.kl. Nach der Trennung der Eltern zog er 1909 mit der Mutter nach Wien, wo er 1916 die Kriegsmatura ablegte. Vor Beginn des Militärdienstes als Einjährig-Freiwilliger war er von dem Schönberg-Schüler Josef Polnauer zwei Jahre in Musiktheorie unterrichtet worden. Nach dem Einsatz in der 12. Isonzo-Schlacht (Oktober 1917) wurde er im Frühjahr 1918 zum Jus-Stud. nach Wien beurlaubt. Kurz vor Kriegsende wurde er zum Lt. befördert. In Prag, wohin er im Mai 1919 übersiedelt war, wurde er von Heinrich Jalowetz, der als Kapellmeister am Neuen dt. Theater wirkte, musikal. gefördert. Er selbst wurde in der Spielzeit 1920/21 als Chordir., 1922 als Kapellmeister an dieses Haus verpflichtet. Auf sein Kompositionsdebüt mit den „7 Liedern für Klavier“ (1923) folgten die „Symphonische Phantasie“ (1924) und das „Konzert für Orchester“ (1928). Die „Schönberg-Variationen“ für Klavier wurden beim Genfer Musikfest der Internationalen Ges. für neue Musik (1929) aufgef. Nach einer erfolgreichen Spielzeit (1927/28) an der Oper in Aussig zog U. sich vom Opernbetrieb zurück, um sich – wieder in Prag – ganz der Komposition zu widmen. Episod. Charakter hatten das Engagement als Kapellmeister für Bühnenmusik am Schauspielhaus Zürich (1929–31) und die von anthroposoph. Ideen inspirierte Tätigkeit als Buchhändler in Stuttgart (1931–33). Nach vierjähriger Schaffenspause kehrte er Mitte 1933 nach Prag zurück und etablierte sich dort als freischaffender Komponist. Zwei neue Werke („Schönberg-Variationen“ für Orchester; Oper „Der Sturz des Antichrist“, 1935) wurden 1934 bzw. 1936 mit dem Wr. Hertzka-Preis ausgez. Bis 1942 komponierte er u. a. vier Klaviersonaten, das 2. Streichquartett, Liederzyklen und zuletzt die Oper „Der zerbrochene Krug“ (nach Kleist). U., der sich seit seinem frühen Schaffen an den expressionist. Werken Arnold Schönbergs – insbes. „Kammersymphonie“ Nr. 1, „Sechs kleine Klavierstücke“ – orientierte, dessen dodekaphones Prinzip jedoch nie übernommen hatte, bekannte sich 1925 in einem Brief an Alban Berg als begeisterter Verehrer von dessen „Wozzek“. Dieser Einfluss hatte sich zuerst in der anthroposoph. Bekenntnisoper „Der Sturz des Antichrist“ gezeigt und blieb bis zu seinen letzten Werken dominierend. Im September 1942 wurde U. nach Theresienstadt deportiert. Neben seinen Aktivitäten in der sog. Freizeitgestaltung entstanden dort 23 Kompositionen, darunter die Klaviersonaten 5–7, das 3. Streichquartett, die Oper „Der Kaiser von Atlantis oder die Tod-Verweigerung“ und das „Cornet“-Melodram nach →Rainer Maria Rilke (1944). Mitte Oktober 1944 wurde U. in das Vernichtungslager Birkenau deportiert. U. konnte nur einen geringen Tl. seiner Werke als Privatdrucke im Selbstverlag veröff. Zahlreiche Mss. wurden nach der Deportation vernichtet. Von seinen bisher nachgewiesenen 76 Kompositionen sind 38 verlorengegangen.

Weitere W. (s. auch Lex. zur dt. Musikkultur; Schultz, 2008): Variationen und Doppelfuge über ein Thema von Schönberg (op. 19/4), 1925–39 (3 Versionen für Klavier, je eine für Orchester und Streichquartett); Liederzyklen nach Ricarda Huch, Hafis, Louise Labé u. a., 1936–42; Klavierkonzert, 1939; 3. Streichquartett (in einem Satz), 1943. – Teilnachlässe: Paul-Sacher-Stiftung, Basel, CH; Univ. Karlova, Ústav hudební vědy, Praha, CZ.
L.: MGG II; I. Schultz, Verlorene Werke V. U.s im Spiegel zeitgenöss. Presseberr., 1994; Lex. zur dt. Musikkultur. Böhmen, Mähren, Sudetenschlesien 2, 2000 (m. B. u. W.); Anthroposophie im 20. Jh., ed. B. v. Plato, 2003, s. Reg. (m. B.); Lex. des Klaviers, ed. Ch. Kammertöns – S. Mauser, 2006; I. Schultz, V. U. Leben und Werk, 2008 (m. B. u. W.); V. U., 26 Kritiken über musikal. Veranstaltungen in Theresienstadt, ed. ders., 2. Aufl. 2011.
(I. Schultz)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 67, 2016), S. 80f.
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