Urban, Karl (1855–1940), Politiker und Unternehmer

Urban Karl, Politiker und Unternehmer. Geb. Prag, Böhmen (Praha, CZ), 1. 9. 1855; gest. ebd., 24. 10. 1940; röm.-kath. Enkel des Advokaten, Prager Bgm., Abg. zum böhm. LT sowie Obst.landmarschall-Stellv. Wenzel Wanka (Václav Vaňka), ab 1867 Edler v. Rodlow (1798–1872), Sohn des Brauereibesitzers und Abg. zum böhm. LT Ferdinand U. (1825–1879) und dessen Frau Karolina U., geb. Wanka (1829–1905); ledig. – Nach dem Besuch des dt. Kleinseitner Gymn. und dem Rechtsstud. an der Univ. Prag (1874–78, 1881 Dr. iur.) übernahm U. 1879 die Leitung der ererbten Brauerei in Prag-Kleinseite und brachte das Unternehmen 1899 in die neu gegr. Aktienbrauerei in Branik bei Prag ein (Verw.R. bis 1902). U. blieb auch weiterhin in der böhm. Brauind. aktiv (ab 1902 Präs. der Ersten Pilsner Actien-Brauerei) und war einer der führenden Funktionäre von deren Organisationen (1882 Mitgründer des Österr. Brauerbunds, Vizepräs. des böhm. Brauind.ver. und ab der Gründung 1899 bis 1910 des Zentralverbands österr. Brauerei-Industriellen-Ver.). Weiters fungierte er als Präs. der Landwirtschaftl. Creditbank für Böhmen und saß im Verw.R. zahlreicher (dt.-)böhm. Ind.betriebe. Außerdem war er führend am Aufbau des dt. landwirtschaftl. Genossenschaftswesens in Böhmen beteiligt (1886 Gründungsmitgl. des Dt. land- und forstwirtschaftl. Zentralverbands, ab der Gründung 1895 Vize-, 1897–98 Präs. des Zentralverbands der dt. landwirtschaftl. Genossenschaften Böhmens, 1893–1900 Mitgl. der dt. Sektion und des Zentralausschusses des böhm. Landeskulturrats, der autonomen Landwirtschaftsbehörde des Landes). Ab 1895 Mitgl. der Dion., leitete er 1916 sowie wieder 1932–35 als Oberdir. die Böhm. Sparkasse in Prag. 1895 erstmals als Dt.fortschrittlicher in den böhm. LT gewählt, vertrat er bis 1901 die Städte Saaz und Kaaden und anschließend bis zur Auflösung des LT 1913 die HGK Reichenberg. 1899–1902 Mitgl., dann bis 1908 Ersatz- sowie 1911–13 wieder Mitgl. des böhm. Landesausschusses, war er 1908–13 als Obst.landmarschall-Stellv. der nominell höchste Vertreter der Dt. im Prager LT. U. war einer der führenden Repräsentanten der Prager Dt. und auch in deren Ver.wesen leitend tätig (1884 Gründungsmitgl. der Ortsgruppe des Dt. Böhmerwaldbunds, 1915–18 Obmann des Dt. Casinos, Mitgl. und 1927–38 Präs. des Ausschusses des Dt. Theaterver., Mitgl. der Ges. zur Förderung dt. Wiss., Kunst und Literatur in Böhmen etc.). Im Wr. RR vertrat er, ebenfalls als Dt.fortschrittlicher, zunächst ab 1901 die HGK Reichenberg, anschließend ab der Wahlreform 1907 den Städtewahlbez. Saaz etc. 1912 wurde er als Mitgl. auf Lebenszeit ins HH berufen, ließ diesen Sitz aber ruhen und blieb weiterhin im AH. Ab 1911 war er führend im neu gegr. Dt. Nationalverband tätig, von Oktober 1917 bis Juli 1918 leitete er als Obmann die Dt.nationale Vereinigung und ab Jänner 1918 saß er im Ausschuss des Verbands der dt.nationalen Parteien. Im Parlament widmete er sich v. a. Wirtschafts- und Finanzfragen (1907–14 Obmann-Stellv. des volkswirtschaftl. Ausschusses, 1910–11 Obmann des Finanzausschusses). Im Dezember 1916 zum Handelsminister in der Regierung Clam-Martinic ernannt, blieb er in dieser Funktion bis zur Entlassung des Kabinetts im Juni 1917. Von Ende Oktober 1918 bis Mitte März 1919 war er als Staatssekr. für Gewerbe, Ind., Handel sowie für Kriegs- und Übergangswirtschaft Mitgl. der dt.-österr. Regierung. Nach der Auflösung der prov. Nationalversmlg. und dem Abschluss des Staatsvertrags von Saint Germain kehrte er endgültig nach Prag zurück und blieb dort weiterhin wirtschaftl. tätig (ab der Gründung 1926 Präs. der Arbeitsgemeinschaft der dt. wirtschaftl. Verbände in der Tschechoslowakei und der Österr. HK in Prag), während er polit. nicht mehr aktiv war. Ein Teilnachlass wird im Státní ústřední archiv in Prag aufbewahrt.

W.: Entwurf eines Gesetzes über die Malzsteuer für Oesterr.-Ungarn, 1894; Denkschrift über eine Reform der Bierbesteuerung in Oesterr.-Ungarn, 1894; Stud. über das Projekt einer Kanal- und Schiffseisenbahnverbindung zwischen der Donau und der Adria, 1904; Über die Grundlagen des Nationalitätenrechtes mit bes. Rücksicht auf die nationalen Verhältnisse in Böhmen, 1905; zahlreiche steuer- und finanzrechtl. Beitrr. in der Tagespresse und in Fachz. (u. a. Der Böhm. Bierbrauer).
L.: Prager Tagbl., 22., NFP, 31. 8. 1915; Adlgasser; Freund, 1907, 1911; Briefe und Dokumente zur Geschichte der österr.-ung. Monarchie unter bes. Berücksichtigung des böhm.-mähr. Raumes 1–3, ed. E. Rutkowski, 1983–2011, passim; Parlamentsarchiv, Wien.
(F. Adlgasser)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 67, 2016), S. 128
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