Vahlen, Johannes (1830–1911), Altphilologe

Vahlen Johannes, Altphilologe. Geb. Bonn, Preußen (D), 27. 9. 1830; gest. Berlin, Dt. Reich (D), 30. 11. 1911; röm.-kath. Sohn des Handwerksmeisters Dominikus V. und dessen Gattin Anna V., geb. Faßbender. – V. stud. 1848–52 an der Univ. Bonn, wo er bei Friedrich Ritschl, dem Großmeister des Altlatein, mit einer Diss. über Ennius-Probleme prom. und sich bereits 1854 mit einer krit. Gesamtausg. desselben Autors habil. Neben Ennius, dem er zahlreiche weitere Arbeiten widmete, beschäftigte sich V. schon früh mit Aristoteles, was ihn u. a. zur Wiederentdeckung des Rhetors Alkidamas führte. Durch diese und weitere hervorragende Leistungen fand er schnell Anerkennung bei den führenden Philologen seiner Zeit. Schon 1856 war er ao. Prof. in Breslau, 1858 kurz o. Prof. in Freiburg im Breisgau, und im selben Jahr nahm er einen Ruf als o. Prof. an die Univ. Wien an. Dort war man im Rahmen der Thun-Hohenstein’schen Reformen bemüht, nach dem Vorbild Wilhelm v. Humboldts sowohl die wiss. Forschung als auch die Ausbildung der Gymn.lehrer auf eine neue Grundlage zu stellen. In diesem Sinn konnte V. das Werk von →Hermann Bonitz erfolgreich fortführen. 1860 wurde er k. M., 1862 w. M. der k. Akad. der Wiss. in Wien und war dort maßgebl. an der Gründung des CSEL (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum) 1864 beteiligt. 1867–74 war er Mithrsg. der einflussreichen „Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien“. Zuletzt fungierte er 1873/74 als Rektor der Univ. Wien. V.s breit gestreutes wiss. Œuvre konzentriert sich im Griech. neben Aristoteles auf Autoren der Klassik, im Latein. umfasst es ein weites Spektrum von Naevius über Cicero bis in die nachaugusteische Zeit. Für die Patristik war V. Ratgeber und Organisator, im Bereich des Humanismus gelang ihm die Erstausg. einer Schrift des Lorenzo Valla. Die Vielfalt der fachl. Interessen V.s findet in seiner Arbeit an den Fragmenten des Juristen Ulpian eine weitere Bestätigung. Method. galt V. als feinsinniger Interpret und hervorragender, streng konservativer Textkritiker. Ab der Mitte des 19. Jh. wurde er zu einer der bestimmenden Persönlichkeiten für die Entwicklung der klass. Philol. 1874 folgte V., ohne die Kontakte mit Wien je aufzugeben, einem Ruf an die Univ. Berlin, wo er 1886/87 das Amt des Rektors innehatte. Als hoch geschätzter akadem. Lehrer war er bis zuletzt im Unterricht tätig. Zu seinen zahlreichen Schülern gehörten in Berlin Ulrich v. Wilamowitz-Moellendorff, der zu einer Leitfigur der (klass.) Philol. aufsteigen sollte, und in Wien der spätere Minister für Kultus und Unterricht →Wilhelm v. Hartel. V. war einer der bedeutendsten klass. Philologen seiner Zeit. Er war ab 1874 o. Mitgl. der Kgl. Preuß. Akad. der Wiss. 1902 wurde ihm der Dr. iur. h. c. der Univ. Berlin verliehen.

Weitere W. (s. auch Wurzbach): Ennianae poesis reliquiae, 1854, 2. Aufl. 1903 (Reprint 1963); Beitrr. zu Aristoteles Poetik, 4 Tle., 1865–67 (Neudruck 1914); Gesammelte philolog. Schriften, 2 Tle., 1911–23 (Reprint 1970).
L.: Almanach Wien 63, 1914, S. 453ff.; Biograph. Jb. 16, 1914, S. 236ff.; Wurzbach (m. W.); U. v. Wilamowitz-Moellendorff, in: Sitzungsberr. der Kgl. Preuß. Akad. der Wiss. 1912/1, 1912, S. 617ff.; F. Römer – H. Schwabl, in: Geschichte der österr. Humanwiss. 5, ed. K. Acham, 2003, S. 75ff.
(F. Römer)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 67, 2016), S. 150f.
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