Vantini, Rodolfo (1792–1856), Architekt

Vantini Rodolfo, Architekt. Geb. Brescia, Republik Venedig (I), 17. 1. 1792; gest. ebd., 17. 11. 1856. Sohn des Malers Domenico V. (geb. 1764 oder 1765; gest. 1821). – V. erhielt 1807–10 seine Ausbildung zum Ing. und Architekten an der Fak. für Mathematik und Physik der Univ. Pavia. Nach mehrjähriger prakt. Arbeit im Mailänder Corpo d’Acque e Strade, wo er Kontakte zur Accad. di Belle Arti di Brera unterhielt, unterrichtete er ab 1813 (ab 1819 als o. Prof. für Zeichnen) am Liceo von Brescia. Mit dem Friedhof von Brescia (cimitero monumentale oder Vantiniano), den er ab 1815 schuf und später erweiterte und der mit seinen klassizist. Antikenbezügen (Dorismus, Rezeption griech. Antike und Pantheon-Paraphrasen) eine der vorbildhaften und frühesten Anlagen seiner Art in Italien darstellt, begründete V. seinen Ruf als Architekt. 1826/27 gewann er den Wettbewerb zum Neubau der Porta Orientale (heute Porta Venezia) in Mailand gegen Entwürfe renommierter Zeitgenossen wie →Luigi Marchese Cagnola. Den 1833 vollendeten Bau entwarf V. nicht wie für Mailand übl. als Triumphbogen, sondern als transparente Anlage aus zwei Pavillons, die eine im Wettbewerbsprogramm geforderte, durch Gitter versperrbare Durchfahrt flankierten. Der Bau in der lombard. Hauptstadt, wo sein Bekanntenkreis u. a. →Pompeo v. Marchesi, Francesco Hayez und Giovanni Migliara (mit denen er auch später künstler. zusammenarbeitete) umfasste, brachte V. einen weiteren Karriereschub, der sich trotz polem. Reaktionen und ästhet. und funktionaler Kritik der lokalen Architektenschaft nicht zuletzt in einer 1827 geprägten Denkmünze dokumentierte. V. schuf im Auftrag zahlreicher lombard. Adels- und großbürgerl. Familien Stadthäuser und Landsitze inklusive deren Innenausstattungen. Weiters beschäftigte er sich mit einer Vielzahl neuer Bauaufgaben wie Friedhöfen, Spitälern, Schulen und Marktanlagen und entwarf zahlreiche Grabmäler, Brunnenanlagen, Kirchen- und Wohnungsausstattungen. Neben seinem Interesse für neue technolog. Entwicklungen (Gusseisenkonstruktionen, Eisenbahnverbindung Mailand–Venedig) dokumentiert sich sein hist. Interesse in der Vielzahl der von ihm verarbeiteten Stile, in seinen Restaurierungskampagnen (z. B. Palazzo della Loggia, 1852, Brescia) und in der Vollendung der Kuppel des Duomo Nuovo (Brescia) u. a. nach Entwürfen Cagnolas ab 1820 sowie in seinen Forschungen zu den antiken Überresten in Brescia (Capitolium) und deren musealer Präsentation als Objekte und in Publ. Beteiligt an Giovanni Labus’ „Museo Bresciano Illustrato“ (Bd. 1, 1838), bekräftigte V. seinen Ruf als Kenner der lokalen Antike (1. Preis des Ateneo von Brescia). V. unternahm zahlreiche Reisen in Italien, West- und Mitteleuropa zur Fortbildung und Perfektionierung seines künstler. Schaffens. In seinem Haus unterhielt er eine Schule für Dekoration und Architektur und ab 1839 ein Steinmetz-Inst. in Rezzato (heute Centro Formazione Professionale delle Arti e dei Mestieri R. V.). Als zentrale Figur in der baul. Entwicklung Brescias im 19. Jh. ist V. ein Architekt der Übergangszeit zwischen Klassizismus und Romantik und ein Vertreter der Neo-Cinquecento-Architektur. So folgte er z. B. bei der Verregelmäßigung von Straßenfassaden den ästhet. Prinzipien der Commissione d’Ornato und bei der Suche nach adäquaten Innenraumlösungen sowie techn. und hygien. Aspekten den Lehren Jean-Nicolas-Louis Durands. Andererseits griff er sowohl auf das Vorbild der antiken Architektur Roms und Griechenlands als auch auf ein umfangreiches Wissen zur Cinquecento-Architektur zurück. Gleichzeitig war V. einer der Initiatoren des Gothic Revival in Italien, der nicht nur pittoreske Gartengebäude vor Augen hatte, sondern auch die stilsemant. Qualitäten der Gotik z. B. für Sakralräume gezielt einzusetzen verstand. 1819 wurde er Mitgl. des Ateneo von Brescia, 1822 k. M. der Brera in Mailand, Ehrenmitgl. der Akad. von Venedig, Neapel und Bologna, 1850 Ehrenmitgl. und k. M. des Royal Inst. of British Architects.

Weitere W.: s. Rapaggi.
L.: Thieme–Becker; Wurzbach; St. Fenaroli, Dizionario degli artisti bresciani, 1887; L. Costanza Fattori, R. V., 1963; R. V. e l’architettura neoclassica a Brescia, ed. G. Viani, 1995; La cultura architettonica nell’età della Restaurazione …, ed. G. Ricci – G. d’Amia, 2002, S. 30f., 260f.; G. Tognazzi, in: Civiltà Bresciana 12, 2003, Nr. 3, S. 55ff.; Storia dell’architettura italiana. L’Ottocento, ed. A. Restucci, 2005, s. Reg.; F. Peroni, in: Civiltà Bresciana 16, 2007, Nr. 3, S. 95ff.; Verso l’arte. Artisti bresciani a Brera nell’800, ed. R. Ferrari u. a., 2009; A. Rapaggi, R. V. (1792–1856), 2011 (m. W.).
(R. Kurdiovsky)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 68, 2017), S. 180
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