Vaugoin, Carl (1873–1949), Politiker

Vaugoin Carl, Politiker. Geb. Hacking, NÖ (Wien), 8. 7. 1873; gest. Krems an der Donau (NÖ), 10. 6. 1949; röm.-kath. Sohn des Juweliers und liberalen Wr. Gmd.- und Stadtrats Carl V. (geb. Pest/Budapest, H, 5. 10. 1822; gest. Wien, 22. 7. 1904) und dessen Frau Ida Anna V., geb. Litschke; in 1. Ehe verheiratet mit Eugenie V., geb. Litschke, ab 1928 in 2. Ehe mit Pauline Aloisia V., verwitwete Stölzle, geb. Loob (geb. Wien, 17. 4. 1882; gest. Bad Vöslau, NÖ, 28. 5. 1977). – Nach dem Besuch des Stiftsgymn. Kremsmünster (1884–90) und der Matura am Gymn. in Wien 6 (1892) leistete V. bis 1899 freiwilligen Heeresdienst im Versorgungswesen. Danach war er im Rechnungsdienst der nö. Landesregierung tätig. Im Mai 1915 eingerückt, diente er vorerst als Landsturm-Off. und 1916–18 in der Etappe. 1912–20 fungierte V. als christl.sozialer Wr. Gmd.rat (1918–20 Stadtrat) sowie 1920–34 als christl.sozialer NR-Abg. 1921 und 1922–33 war er Heeres- bzw. (1933) Landesverteidigungs-Minister. Ab September 1929 bekleidete V. ein Jahr lang das Amt des Vizekanzlers, von Ende September bis Anfang Dezember 1930 jenes des Bundeskanzlers in einer Minderheitsregierung. In der Nachfolge →Ignaz Seipels leitete er 1930–34 als Bundesparteiobmann die Christl.sozialen. Als Exponent antisozialdemokrat. Politik gelang es V. durch exzessive Ausnützung der Gesetzeslage, das (Berufs-)Bundesheer sukzessive (bis etwa 1929) dem sozialdemokrat. Einfluss zu entziehen und zum verlässl. Instrument bürgerl. Regierungspolitik zu gestalten. Mit Ausweitung derselben auf die gesamte Innenpolitik scheiterte er jedoch als Bundeskanzler (große Verluste der Christl.sozialen bei den NR-Wahlen 1930), da er die Heimwehren nicht von einer eigenen Kandidatur abhalten hatte können. Nach weiterer Schwächung der Christl.sozialen durch die Ergebnisse der LT-Wahlen 1932 in NÖ, der Stmk. und Sbg. unterstützte V. in Erwartung eines Ausbaus christl.sozialer Positionen den autoritären Regierungskurs →Engelbert Dollfuß’, geriet aber 1933 zunehmend in Gegensatz zu diesem und v. a. zu den mitregierenden Heimwehren, die ihre Verbände in den geschaffenen Assistenztruppen quasi zu verstaatlichen suchten. Aus einem traditionalist. (ohne Monarchist zu sein) und anschlussfeindl. Österr.verständnis heraus exponierte sich V. im Juni 1933 nicht nur für ein Verbot der NSDAP in Österr., sondern war im August/September 1933 auch bereit, ein Kooperationsangebot des illegalisierten (sozialdemokrat.) Republikan. Schutzbunds mit dem Bundesheer gegen eine befürchtete Invasion der nationalsozialist. Österr. Legion aus Bayern anzunehmen. Dies und die forcierte antiparlamentar., gegen alle Parteien gerichtete Politik Dollfuß’ führten im September 1933 zur Entlassung V.s aus der Regierung und zur Beurlaubung vom Posten als Bundesparteiobmann der Christl.sozialen. I. d. F. war er als Präs. der Verwaltungskomm. der Österr. Bundesbahnen (1933–36) und Vizepräs. der Versicherungsges. Phönix tätig; 1934–36 Mitgl. des Staats- und des Bundesrats. Nach dem „Anschluss“ 1938 wurde V. inhaftiert, 1939 jedoch krankheitshalber wieder entlassen. 1940–42 lebte er im Rahmen eines Zwangsaufenthalts in Süddtld., 1942–43 in Thüringen.

L.: L. Jedlicka, Ein Heer im Schatten der Parteien, 1955, s. Reg. (m. B.); A. Staudinger, Bemühungen C. V.s um Suprematie der christl.sozialen Partei in Österr. (1930–33), phil. Diss. Wien, 1969 (veröff. in: MIÖG 23, 1970, S. 297ff.); P. Huemer, Sektionschef R. Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österr., 1975, s. Reg. (m. B.); A. Staudinger, in: Die österr. Bundeskanzler, ed. F. Weissensteiner – E. Weinzierl, 1983, S. 148ff. (m. B.); AdR, AVA, KA, Pfarre Ober St. Veit, Pfarre St. Josef ob der Laimgrube, alle Wien; Pfarre Maria Schutz am Semmering, NÖ.
(A. Staudinger)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 68, 2017), S. 195f.
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