Vergani, Ernst (1848–1915), Politiker und Publizist

Vergani Ernst, Politiker und Publizist. Geb. Solec, Galizien (Solec’, UA), 15. 3. 1848; gest. Emmersdorf an der Donau (NÖ), 19. 2. 1915 (beerdigt: Wr. Zentralfriedhof); röm.-kath. Sohn des Off. und späteren (ab 1846) Salinenbeamten in Galizien Ferdinand V. (geb. Florenz, Toskana / Firenze, I, 24. 1. 1816; gest. Freihermersdorf, Schlesien / Svobodné Heřmanice, CZ, 31. 12. 1892) und dessen Frau Hermine V., geb. Gutwein (geb. Przemyśl, Galizien/PL, 5. 4. 1824; gest. Wien, 6. 4. 1903); ab 1881 verheiratet mit Hemma V., geb. Gruber (geb. Spitz, NÖ, 18. 7. 1863; gest. Wien, 21. 2. 1919). – V. absolv. nach dem Besuch der dt. Realschule in Lemberg bis 1872 die Bergakad. in Schemnitz und Přibram. Nach kurzer Tätigkeit als Praktikant in der Salinendion. im galiz. Wieliczka und ab 1873 als Ing.ass. bei den fürstl. Salmʼschen Eisenwerken im mähr. Blansko kam er 1874 als Verwalter und Werksleiter des Bergwerks der Österr.-Mähr. Graphitgewerkschaft (gepachtet vom Vater seiner späteren Ehefrau) nach Mühldorf in der Wachau. Durch seine Heirat wurde er Besitzer des Trenninghofs (Landwirtschaft und Graphitbergwerk), den er um 1897/98 verkaufte. V. engagierte sich früh in der Kommunalpolitik (1876 Gmd.rat, 1882–90 Bgm. von Mühldorf) und in den neu entstandenen dt.nationalen Ver. (1882 Gründungsmitgl. des Dt.nationalen Ver. in Wien, 1886 Gründungsmitgl. und von 1888 bis zur behördl. Auflösung 1889 Obmann des Schulver. für Deutsche). Daneben galt sein Hauptinteresse der wirtschaftl. Organisation der Bauern und des ländl. Gewerbes, wobei er anders als der Großtl. der Dt.nationalen nicht das System Schulze-Delitzsch unterstützte, sondern frühzeitig das Genossenschaftswesen nach Raiffeisen forcierte. 1886 war er Mitgründer und 1. Obmann des Spar- und Darlehenskassenver. Mühldorf, der ersten Raiffeisenkasse in NÖ. Basis seines polit. Wirkens war von Anfang an der rass. Antisemitismus. Anders als bei seinem frühen Vorbild und späteren erbitterten Gegner →Georg v. Schönerer blieb V.s Antisemitismus immer kath. geprägt, was maßgebl. zum Bruch mit den Schönerianern und zu seiner Annäherung an die Vereinigten Christen und die junge christl.soziale Bewegung beitrug. V.s egoman. Persönlichkeit und sein Festhalten am Rassenantisemitismus verhinderten jedoch – anders als bei den ebenfalls aus der antisemit. wirtschaftl. Reformbewegung kommenden →Robert Pattai und →Ern(e)st Schneider – seine Integration in die christl.soziale Partei. Nachdem V. 1884 als dt.nationaler Kandidat in den LT-Wahlen →Franz de Paula Schürer unterlegen war, konnte er zwei Jahre später, nach Schürers Tod, mit Unterstützung Schönerers das frei gewordene Mandat gewinnen (bis 1897). In das AH des RR wurde er 1887 in einer Nachwahl gewählt. Dort schloss er sich zunächst dem Verband der Dt.nationalen an. Anfang November 1889 trat V. jedoch aus dem Klub aus, der sich wenige Tage später nach dem Austritt sämtl. verbliebener Mitgl. auflöste. Für den Rest der Legislaturperiode saß V. bis 1891 als wilder Abg. im Parlament. Bei den Neuwahlen unterlag er dem liberalen Kremser Bgm. Ludwig Heinemann. Im März 1897 siegte er als christl.sozialer Kandidat in seinem Wahlbez., legte jedoch bereits im August das RR- und das LT-Mandat nach einem verlorenen Ehrenbeleidigungsprozess gegen Schönerer, Karl Iro, Karl Hermann Wolf und zwei weitere dt.nationale Publizisten zurück. Bei der LT-Nachwahl unterlag er dem Kandidaten der Dt. Volkspartei, während er für den RR nicht mehr kandidierte. I. d. F. trat V. mit Ausnahme einer gescheiterten Kandidatur für den Wr. Gmd.rat 1910 bei Wahlen nicht mehr an. Sowohl im LT wie im RR galt V.s Interesse überwiegend der wirtschaftl. Stärkung des ländl. Raums und der Förderung des Genossenschaftswesens. Überdies unterstützte er die christl.sozialen Forderungen nach Verkürzung der allg. Schulpflicht auf dem Land sowie Etablierung der konfessionellen Schule durch Trennung christl. und jüd. Kinder und Verbot der Anstellung jüd. Lehrer an christl. Schulen und umgekehrt. In erster Linie wurde er jedoch durch seine rüden antisemit. Ausfälle bekannt. Zum endgültigen Bruch mit Schönerer (Ausschluss aus der Dt.nationalen Partei 1890) hatte die Gründung der Tagesztg. „Deutsches Volksblatt“ durch V. als Hrsg. und Mehrheits-, ab 1891 Alleineigentümer geführt. V. konzipierte das Bl. als überparteil. sensationslüsternes Kampfbl. aller Antisemiten. Nach anfängl. finanziellen Problemen entwickelte sich die Ztg. wirtschaftl. positiv. Dies ermöglichte ihm den Bau des sog. Antisemitenhofs in Wien-Josefstadt, in dem sich seit 1896 sowohl Red., Verwaltung und Druckerei der Ztg. wie auch V.s Wohnung befanden, sowie die Errichtung einer Villa in Emmersdorf. Nach einer scharf geführten Auseinandersetzung mit der „Reichspost“ in der Frage der Parteileitung nach dem Tod →Karl Luegers und der zum Tl. darauf zurückgeführten Wahlniederlage der Christl.sozialen bei den RR-Wahlen in Wien legte V. 1911 die Hrsg.schaft des „Deutschen Volksblatts“ zurück und verpachtete die Ztg. 1913 gründete er das Wochenbl. „Österreichische Illustrierte Rundschau“. 1906 k. Rat, erhielt er 1908 den Orden der Eisernen Krone III. Kl. und wurde Komtur mit Stern des päpstl. Gregor-Ordens.

W.: Wahlreform, 1886; Reden und Anträge, 7 Bde., 1889–90; Die Judenfrage in Oesterr., (um 1892).
L.: Dt. Volksbl., 15. 3. 1908; Adlgasser; W. Adelmaier, E. V., phil. Diss. Wien, 1969 (m. B.); A. G. Whiteside, G. Ritter v. Schönerer, 1981, s. Reg.; J. W. Boyer, Political Radicalism in Late Imperial Vienna, 1981, s. Reg.; M. Wladika, Hitlers Vätergeneration, 2005, s. Reg.; J. W. Boyer, K. Lueger (1844–1910), 2010, s. Reg.; Hdb. des Antisemitismus 6, 2013, S. 137ff.
(F. Adlgasser)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 68, 2017), S. 234f.
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