Viscusi (Viscussi), Achille (1869–1945), Tänzer

Viscusi (Viscussi) Achille, Tänzer. Geb. Rom, Kirchenstaat (Roma, I), 27. 2. 1869; gest. Praha, Tschechoslowakei (CZ), 1. 7. 1945. Onkel der Tänzerin Marie Dobromilová; verheiratet mit der Tänzerin Aloisie Dobromilová. – V. stud. Tanz bei Emilio Caprotti und Virginia Zucchi. 1880 wurde er Mitgl. des Kinderballetts am Teatro Rossini in Rom. Als junger Tänzer durchlief er Stationen an mehreren europ. Bühnen: 1889 am Teatro Argentina in Rom, 1890–91 am Teatro Dal Verme in Mailand, 1892 an der Mailänder Scala, 1893 am Theater unter den Linden in Berlin. Anschließend wirkte V. in Agram (1894), Budapest (1896–97), Wien (1898–99) und Paris (1901). Ab 1894 widmete er sich neben dem Tanz auch der Choreographie. Eine Wende in V.s Karriere bedeutete das Engagement an das Prager Nationaltheater, das ihm aufgrund seiner Vorstellung im Palais de danse während der Weltausst. in Paris angeboten wurde. 1901 trat er seine Stelle als Tänzer, Choreograph und Ballettmeister am Nationaltheater an und folgte damit dem langjährigen Ballettmeister Augustin Berger nach. Zu seinen ersten Prager Inszenierungen zählten →Anton Dvořáks „Slawische Tänze“ (1901) – die erste Tanzbearb. dieses Musikzyklus überhaupt. Von der Kritik anfangs reserviert aufgenommen, erwarb sich V. allmähl. Respekt als ausgez. Tänzer, Darsteller der meisten bedeutenden Ballettrollen und auch als findiger Choreograph, der Wert auf die techn. Qualität des Tanzes und die Glaubhaftigkeit des Schauspiels legte. Mit Vorliebe nutzte er Theatereffekte und schätzte prächtige Ausstattung und Kostüme. In Prag kam V. seine internationale Bühnenerfahrung zugute, als er dort einige anspruchsvolle romant. und nachromant. Ballette einstud. (Léo Delibes: „Sylvia“, 1902, und „Coppélia“, 1906; Tschaikowski: „Schwanensee“, 1907, sowie „Der Nussknacker“, 1908; Adolphe Adam: „Giselle“, 1909). Dabei adaptierte er die Libretti häufig, um sie dem tschech. Publikum nahezubringen. Regelmäßig führte V. zudem neue tschech. Ballette auf und arbeitete eng mit →Oskar Nedbal an den Ballettpantomimen „Pohádka o Honzovi“ (1902), „Z pohádky do pohádky“ (1908), „Princezna Hyacinta“ (1911) und „Andersen“ (1914, Premiere im Etablissement Ronacher in Wien) zusammen. Als Choreograph hatte er auch Anteil an Balletten von →Jindřich Kaan v. Albest („Olim“, 1904; „Bajaja“, 1905), Mořic Anger („V baletním sále“, 1904) oder →Karel Kovařovic („Na záletech“, 1909). Nach seinem Fortgang vom Nationaltheater 1912 wirkte er mit seinem Tanzensemble in England, 1913 war er Choreograph am Theatro Municipal do Rio de Janeiro, wo seine Einstudierungen von „Schwanensee“ und den „Slawischen Tänzen“ großen Anklang fanden. Nach dem 1. Weltkrieg ließ V. sich in der Tschechoslowakei nieder und nahm die tschechoslowak. Staatsbürgerschaft an. 1918/19 wirkte er am Státní divadlo in Brünn, wo er u. a. „Coppélia“ und „Schwanensee“ aufführte und bedeutend zur Professionalisierung des dortigen Ballettensembles beitrug. 1919 wurde er mit dem Aufbau des ersten festen Ballettensembles am Theater in Ostrava betraut, mit dem er schon nach einigen Monaten anspruchsvolle Werke auf die Bühne brachte (etwa „Coppélia“ oder die Urauff. von Jaroslav Vogels „Dům u sedmi čertů“). 1923 nahm V. auf Anregung Nedbals die Stelle eines Ballettmeisters und Choreographen am Slovenské národné divadlo in Bratislava an, an dem er auch im fortgeschrittenen Alter tanzte und wiederum rasch ein qualitätsvolles Ensemble aufbaute. In Bratislava betrieb er zudem eine private Tanzschule. In V.s Dramaturgie wiederholten sich häufig Titel, die er bereits in Prag oder während der darauf folgenden Engagements aufgef. hatte. Als Choreograph arbeitete er häufig an Opern, Operetten und Schauspielen mit. 1931 verließ er Bratislava und beendete damit seine Karriere. Den Rest seines Lebens verbrachte V. in Prag. Er war ein anspruchsvoller und geschätzter Tanzpädagoge, unter dessen Leitung einige führende Persönlichkeiten des tschechoslowak. Balletts wie Joe Jenčík oder Emerich Gabzdyl heranwuchsen.

L.: Národní divadlo (m. B.); E. Jaczová, Balet Slovenského národného divadla, 1971, S. 27ff.; 60 let Státního divadla v Ostravě, 1980, S. 229ff.; Postavy brněnského jeviště 1, 1984, S. 14ff.; Český taneční slovník, 2001 (m. B.); B. Brodská, Dějiny baletu v Čechách a na Moravě do roku 1945, 2006, S. 141ff., 197f., 214f.; K. Syslová, A. V. a jeho pražská léta, Bakkalaureatsarbeit Praha, 2009.
(R. Vašek)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 68, 2017), S. 295f.
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