Vogel, David (1891–ca. 1944), Schriftsteller

Vogel David, Schriftsteller. Geb. Satanov, Russland (Sataniv, UA), 15. 5. 1891; gest. KZ Auschwitz, Dt. Reich (PL), vermutl. 7. 3. 1944; mos. Vater von Tamara V.-Mizrahi, die V.s Tagebücher aus dem Nachlass ed.; in 1. Ehe ab 1919 mit Ilka V., in 2. Ehe mit Ada Nadler verheiratet. – V. wuchs mit Jidd. als Muttersprache in Wilna und Lemberg auf, wo er auch Hebr. lernte, und lebte ab 1912 in Wien, um der Einberufung zum Militärdienst im russ. Heer zu entgehen. Er lernte Dt. und verdiente sich mit Hebr.- und Religionsunterricht seinen Unterhalt. Nachdem V. 1914 zusammen mit anderen russ. Staatsbürgern wegen Verdachts auf Unterstützung der zarist. Truppen festgenommen worden war, verbrachte er zwei Jahre in Haft. Nach seiner Entlassung im Sommer 1916 lebte er unter prekären finanziellen Verhältnissen in Wien. Bereits 1912 begann er mit Tagebuchaufzeichnungen, in denen er das Leben eines jungen jüd. Mannes u. a. in Wien sowie den Kampf gegen drohende Armut und Hunger schildert („Ketsot Hayamim“, in: „Tachanot Kavot“, ed. Menakhem Perry, 1990). 1923 publ. er in Wien seinen einzigen zu Lebzeiten veröff. Ged.bd. auf Hebr. („Lifney hashaʼar haʼafel“), blieb allerdings dem Kreis der jüd. Autoren in Wien gegenüber distanziert. 1924 österr. Staatsbürger, zog er im folgenden Jahr nach Paris und emigrierte 1929 mit seiner Frau Ada nach Palästina, kehrte jedoch bereits 1930 wegen der dortigen Lebensbedingungen und des Klimas erst nach Wien, im folgenden Jahr nach Paris zurück. Nach Ausbruch des 2. Weltkriegs wurde V. aufgrund seiner Staatsbürgerschaft als feindl. Ausländer interniert und im Sommer 1941 nach der Kapitulation Frankreichs entlassen. Danach lebte er in Hauteville bei Lyon, wo sich seine Frau in einem Sanatorium für Tuberkulose-Kranke aufhielt. Selbst an Tuberkulose leidend, wurde er 1944 verraten, verhaftet und in verschiedene Lager, zuletzt nach Les Milles in der Nähe von Aix-en-Provence, und schließl. mit dem Transport von Anfang März von Drancy ins KZ Auschwitz verbracht. V., der mit →Franz Kafka und →Arthur Schnitzler verglichen wurde, zu dessen Lebzeiten jedoch nur wenige Werke erschienen, veröff. Ged. in hebr. Literaturz.; sein lyr. Werk erschien erst 1966 in Buchform („Kol Shirej David Vogel“, ed. Dan Pagis). In seinem Roman „Eine Ehe in Wien“ (hebr. „Ḥayey nisuʼim“, 1929, dt. 1992), entstanden in Paris und Tel Aviv 1928–29, schildert er die Beziehung des Protagonisten zu seiner sadist. Ehefrau Thea, die ihn letztendl. zu Wahnvorstellungen treibt. Vor seiner Verhaftung 1944 versteckte V. u. a. ein Ms. auf Jidd., das nach dem Krieg gefunden wurde (hebr. „Kulam yatzu lakrav“, in: „Tachanot Kavot“, 1990, dt. „Das Ende der Tage“, in: „Das Ende der Tage: Tagebücher und autobiographische Aufzeichnungen 1912–1922 und 1941/42“, ed. T. V.-Mizrahi, 1995). Der Text besteht aus tagebuchartigen Passagen, in denen der Protagonist Rudolf Weichert das Leben im Sammellager Bourg beschreibt. Hebr. Neuaufl. und Übers. u. a. ins Engl., Französ. und Dt. trugen ab Mitte der 1970er-Jahre zu einem verstärkten Interesse an V.s Werk bei. Erst 2010 wurde in seinem Nachlass das Ms. zu „Eine Wiener Romanze“ (hebr. „Roman Winaʼi“, 2012, dt. 2013, weitere Übers. ins Türk., Französ., Niederländ., Engl., Span. und Italien.) entdeckt, einem frühen Wien-Roman mit autobiograph. Zügen über einen jungen Juden russ.-poln. Herkunft, der eine Liebesaffäre mit seiner Zimmerwirtin sowie deren Tochter unterhält und dabei an den Rand des Untergangs gerät.

Weitere W.: Bewayt hamarpe, 1928; Lokhah hayam, 1932 (dt. Im Sanatorium. An der See. Zwei Novellen, 1994). – Kryptonachlass: Genazim Archives, Tel Aviv, IL.
L.: Die Presse, 10. 10. 1992 (m. B.); Bolbecher–Kaiser; Enc. Jud.; G. Shaked, in: Austrians and Jews in the Twentieth Century, ed. R. S. Wistrich, 1992, S. 97ff.; Hebrew Writers, ed. G. Shaked, 1993 (m. B.); D. Fogel (1891–1944) and the Emergence of Hebrew Modernism, ed. M. Gluzman u. a., 1993; G. Shaked, Geschichte der modernen hebr. Literatur, 1996, s. Reg.; C. Deuretzbacher, M. Sperber und D. V. – die Wr. Jahre, phil. DA Wien, 2007; S. Goldstein, in: F. Stern, Wien und die jüd. Erfahrung 1900–38, 2009, S. 355ff.; J. Riedl, in: Die Zeit 39, 2013, S. 17 (Österr.-Tl.); L. Netanel, in: D. V., Eine Wr. Romanze, 2013, S. 293ff.; dies., in: Prooftexts 33, 2013, S. 307ff.; S. Goren, in: Choosing Yiddish, ed. L. Rabinovitch u. a., 2013, S. 29ff.; F. C. Valk, Exclusion and Renewal. Identity and Jewishness in F. Kafkaʼs „The Metamorphosis“ and D. V.ʼs Married Life, 2015, bes. S. 91ff.
(I. Nawrocka)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 68, 2017), S. 314f.
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