Vogelsang, (Hermann Ludolf) Karl Emil Frh. von (1818–1890), Publizist und Sozialreformer

Vogelsang (Hermann Ludolf) Karl Emil Frh. von, Publizist und Sozialreformer. Geb. Liegnitz, Preußen (Legnica, PL), 3. 9. 1818; gest. Wien, 8. 11. 1890 (Verkehrsunfall); evang., ab 1850 röm.-kath. Sohn des preuß. Gendarmeriemjr. Karl v. V. und der Ida v. V., geb. v. der Lühe, Vater u. a. der Publizistin Maria Dorothea Emma Freiin v. V. (geb. Alt Guthendorf, Preußen/D, 2. 3. 1853; gest. Seibersdorf, Stmk., 17. 3. 1925); verheiratet mit Bertha Freifrau v. V. (1828–1902), Tochter des Justin Timotheus v. Linde, 1848 Abg. zur Frankfurter Nationalversmlg. und ab 1853 Mitgl. der österr. Bundespräsidialgesandtschaft in Frankfurt am Main. – Nach erstem häusl. Unterricht in einer Lehrerfamilie in Lübeck besuchte V. das Gymn. in Halle an der Saale und lernte nebenbei Buchbinden, Drechseln und Malen. Wegen eines Fußleidens für den Off.dienst untaugl., stud. er 1841–43 Rechts- und Staatswiss. in Bonn, 1843–44 in Rostock und 1844 in Berlin, worauf er in den preuß. Staatsdienst eintrat. In Berlin lernte er Propst Wilhelm Emanuel Frh. v. Ketteler kennen, der 1850 Bischof von Mainz wurde und in der Entwicklung des Sozialkatholizismus eine bedeutende Rolle spielte. V. quittierte den Staatsdienst nach dem Tod seines Stiefvaters und übernahm das Familiengut im mecklenburg. Alt Guthendorf. 1849 traf V. bei den Arbeiten zur Gründung der konservativen Ztg. „Norddeutscher Correspondent“ erstmals mit Franz v. Florencourt und →Friedrich Maassen zusammen, die später zum Katholizismus konvertierten. V. pflegte daneben engen Kontakt mit dem Rittergutsbesitzer und späteren Jesuiten Emil v. Bülow und trat 1850 in Innsbruck in die kath. Kirche ein. Nach Aufenthalten in Köln (1854–55) und Sigmaringen (1855) verkaufte er 1855 sein Gut, da Mecklenburg die Ausübung des kath. Kultus massiv behinderte. 1856 erwarb er das Gut Fußberg in Oberbayern. 1859–60 begleitete V. →Johann II. Fürst v. u. z. Liechtenstein auf einer Europareise. 1864 kaufte er den Magdalenenhof auf dem Bisamberg bei Wien, doch warf das Gut inklusive einer Zementfabrik kaum Gewinne ab. Nach seiner Verpachtung übersiedelte V. 1872 nach Pressburg. 1873 wurde er dort Mitarb. am konservativen Tagbl. „Der Katholik“ (ab 1874 „Das Recht“) des →Georg Gf. Apponyi. Nun begann eine reiche publizist. Tätigkeit. 1875 von →Leo Gf. Thun u. Hohenstein in die Red. des „Vaterlands“ nach Wien berufen, hatte V. hier enge Kontakte u. a. mit Bülow, Florencourt und Maassen sowie mit →Max Frh. v. Gagern. Daneben stand er im Mittelpunkt eines Diskussionskreises zur „sozialen Frage“, zu dem →Friedrich Gf. Revertera v. Salandra, Franz Gf. Falkenhayn und →Julius Gf. Falkenhayn, →Aloys Prinz v. u. z. Liechtenstein, →Gustav Gf. Blome, →Ekbert Gf. Belcredi, Anton Gf. Pergen, →Franz Gf. Kuefstein, Rudolph Meyer sowie später P. Albert Maria Weiss zählten. Obwohl V. seine sozialreformer. Ideen auch im „Vaterland“ – nicht immer ohne Konflikte – vertreten konnte, gründete er 1879 die „Österreichische Monatsschrift für Gesellschafts-Wissenschaft und Volkswirthschaft“ (1883–98 „Österreichische Monatsschrift für christliche Social-Reform, Gesellschafts-Wissenschaft, volkswirtschaftliche und verwandte Fragen“), die sich ausschließl. gesellschaftswiss. und sozialpolit. Fragen widmete. V.s Tochter Maria wurde seine wichtigste Mitarb. bei der Hrsg. der Z., die sie nach seinem Tod weiterführte. Die MS enthielt die erste grundlegende Untersuchung zur Lage der Arbeiterschaft in der Monarchie, hervorgegangen aus einer von V. angeregten und von Aloys Prinz Liechtenstein finanzierten Enquète, für die →Ern(e)st Schneider und der frühere Sozialdemokrat Franz Motz die Unterlagen geliefert hatten. Geistliche wie Anton Tschörner, Josef Deckert und →Rudolf Eichhorn ergänzten später diese Untersuchung mit weiteren Reportagen zur sozialen Lage in Floridsdorf und bei den Angestellten der Wr. Tramwayges. V. forderte in zahlreichen Aufsätzen mit antirevolutionärer, antiliberaler, antikapitalist. und antijüd. Tendenz eine Erneuerung des gesellschaftl. Lebens aus dem Geist des Christentums (Wucherzinsverbot, neue Grundentlastung, verpflichtende genossenschaftl. Bindungen, Begünstigung der gewerbl. gegenüber der industriellen Produktion, stärkere Abkoppelung vom Weltmarkt, „soziales Königtum“, ständ. Ges.ordnung). V.s Bemühungen schlugen sich 1883–85 in den österr. Gewerbeordnungsnovellen nieder (Schutz des Kleingewerbes, Maximalarbeitszeit in Fabriken, Sonntagsruhe, Nachtarbeitsverbot für Frauen), ferner im Gesetzentwurf zur Einschränkung des bäuerl. Erbrechts sowie zur Schaffung von obligator. landwirtschaftl. Berufsgenossenschaften (1893, Gesetz 1902). V. gilt als geistiger Vater der christl.sozialen Bewegung in Österr., die sich unter Führung →Karl Luegers ab 1888 konstituierte. Die von V., Lueger und anderen ursprüngl. zur Vorbereitung des 2. Österr. Katholikentags 1889 im Wr. Hotel Zur Goldenen Ente eingerichteten regelmäßigen „Enten-Abende“ wurden unter Leitung von →Franz Martin Schindler zu einer Kaderschmiede des Sozialkatholizismus. V. war Träger zahlreicher Orden und Ausz. (Herzogl. Nassauischer Kammerherr, Ehrenritter des Malteserordens, Kommandeurkreuz des päpstl. Gregor-Ordens, Ehrenkreuz pro Ecclesia et Pontifice). 1859 wurde er in den liechtenstein. Frh.stand erhoben. Das Andenken an V. halten u. a. der K.-V.-Bund (gegr. 1913 von Anton Orel), das K. v. V.-Inst. zur Erforschung der Geschichte der christl. Demokratie in Österr. (Wien, gegr. 1980, Nachlassverwalter) sowie der K.-v.-V.-Staatspreis für Geschichte der Ges.wiss. (zweijährig seit 1992 vergeben) wach.

Weitere W. (s. auch Kosch): Das Min. Lasser ..., 1876; Die Grundbelastung und -Entlastung ..., 1879; Die Nothwendigkeit einer neuen Grundentlastung, 1880; Die Bauernbewegung in den österr. Alpenländern, 1881; Zins und Wucher, 1884; Gesammelte Aufsätze ..., 1886; Die socialen Lehren des Frh. C. v. V., ed. W. Klopp, 1894, 2. Aufl. 1938.
L.: Vaterland, 9. 11. 1890 (m. Parte); ADB; Czeike (m. B.); Kosch (m. W.); LThK; W. Klopp, Leben und Wirken des Sozialpolitikers K. Frh. v. V., 1930 (m. B.); J. Ch. Allmayer-Beck, V., 1952; E. J. Görlich, K. v. V., (1968); R. Knoll, Zur Tradition der christl.sozialen Partei, 1973, s. Reg.; E. Hanisch, Konservatives und revolutionäres Denken, 1975, S. 73ff.; E. Weinzierl, in: Kath. Soziallex., ed. A. Klose u. a., 2. Aufl. 1980; E. Bader, K. v. V., 1990 (m. B.); G. Grewolls, Wer war wer in Mecklenburg-Vorpommern?, 1995.
(E. Bruckmüller)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 69, 2018), S. 321f.
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