Waagen, Wilhelm Heinrich (1841–1900), Paläontologe

Waagen Wilhelm Heinrich, Paläontologe. Geb. München, Bayern (D), 23. 6. 1841; gest. Wien, 24. 3. 1900; röm.-kath. Sohn des Malers und kgl. preuß. geheimen HR Karl W. (1800–1873) und der Anna W., geb. Schächner (Schechner) (1806–1860), die als Sopranistin Nanette Schechner bekannt wurde, Vater u. a. von Wilhelm W. (1875−1960), der als Pater Hildebrand in der Benediktinerabtei Seckau und u. a. als Seelsorger in Traboch wirkte, sowie des Geologen Lukas W. (1877–1959); ab 1874 verheiratet mit Sophie W., geb. Freiin v. Großschedel (1846–1906). – Nach dem Besuch des Gymn. und der Matura 1859 stud. W. Naturwiss., inbes. Paläontol., an den Univ. München (1861/62), u. a. bei dem Paläontologen Carl Albert Oppel, sowie Zürich (ab 1862), u. a. bei dem Geologen Arnold Escher v. der Linth; 1864 Dr. phil. in München. Bereits während des Stud. sammelte er bei Carl Wilhelm v. Gümbel erste Erfahrungen mit Feldaufnahmen in Franken. Nach seiner Prom. vertiefte er seine Kenntnisse in Frankreich und England. 1866 habil. sich W. für Paläontol. an der Univ. München. 1867 reiste er gem. mit dem Geologen und Paläontologen Ernst Benecke, mit →Urban Schloenbach und →Melchior Neumayr nach Südtirol, 1868 kam er nach Wien. 1870 wurde er Ass. am Geological Survey of India mit Hauptsitz in Kalkutta, 1871 nahm er Aufsmlgg. in Cutch vor und arbeitete, da sich das trop. Klima ungünstig auf seine Gesundheit auswirkte, danach im Gebiet von Hazara an der Grenze zu Kaschmir. Gem. mit Arthur Wynne machte er Aufnahmen in Murree und Umgebung. Nachdem sich sein Gesundheitszustand gebessert hatte, führten ihn 1871 Aufnahmen in das Salt Range-Gebirge, wo es ihm erneut schlechter ging, weshalb er 1872 mit Wynne im Kohat-District und im Gebiet von Peschawar arbeitete. Nach seiner Rückkehr in die Salt Range zwangen ihn seine Krankheit und eine Blatternepidemie die dortigen Forschungen zu den Fossilien zu beenden. Nach kurzer Tätigkeit im Hazaragebiet wurde er in Kalkutta mit der Bearb. der Aufsmlgg. von →Ferdinand Stoliczka betraut. Reisen nach Sikkim, zu den Andamanen und Nikobaren folgten, ehe sein angegriffener Gesundheitszustand ihn veranlasste, nach Europa zurückzukehren. 1873 bearb. er in München das Material von Stoliczka. Nach Kuraufenthalten in St. Moritz, an der Atlantikküste Frankreichs und in Karlsbad (1874) reiste W. 1875 mit seiner Frau erneut zwecks paläonotolog. Forschungen nach Kalkutta. Im selben Jahr kehrte er endgültig nach Europa zurück, wobei er durch Schiffbruch eines Frachters in der Nähe von Ceylon einen Großtl. seines Besitzes verlor. Nach einem Aufenthalt in Gries bei Bozen erhielt W. 1877 auf Betreiben von →Eduard Sueß die Venia legendi für Geol. an der Univ. Wien. 1879 folgte er einer Berufung als o. Prof. für Mineral. und Geol. an das dt. Polytechnikum in Prag; 1885/86 Rektor der dt. TH. 1890 kam er als o. Prof. für Paläontol. an die Univ. Wien, wo er jedoch krankheitshalber immer wieder um Dispensierung von seiner Lehrtätigkeit ansuchen musste. In Wien war W. fast ausschließl. mit der Bearb. des ind. Materials und mit Vorlesungen darüber betraut. Generell beschäftigte er sich mit der Deszendenzlehre, die er mit Vorbehalten bejahte und für die Paläontol. nutzbar machte, obwohl er ein bewusster Gegner der Darwin’schen Thesen war. W. führte die trinom. Bezeichnungsweise Gattung, Stammart und Mutation ein, befasste sich mit dem Genus Ammonites, postulierte die schöpfer. Tätigkeit bei der Entstehung neuer Lebensformen, lehnte die Aufstellung größerer Stammbäume ab und forschte zur Lössbildung sowie zur karbonen Eiszeit. Seine religiös geprägte Einstellung legte er in seinem letzten Werk „Das Schöpfungsproblem“ (1899) dar. Darüber hinaus fungierte er als Hrsg. der Fachperiodika „Geognostische-paläontologische Beiträge“ und „Beiträge zur Paläontologie Oesterreich-Ungarns und des Orients“. W. wurde u. a. 1865 Korrespondent der Geolog. Reichsanstalt, 1888 Mitgl. der Dt. Akad. der Naturforscher Leopoldina und 1893 k. M. der k. Akad. der Wiss. in Wien. 1878 erhielt er den Lyell-Preis der Geological Society of London, 1898 die Lyell-Medaille. Weiters wurde er mit der Großen Goldenen Medaille mit dem allerhöchsten Bildnisse und Wahlspruch (1880) sowie dem Ritterkreuz des Ordens vom Hl. Michael ausgez.

Weitere W.: s. Poggendorff; Uhlig.
L.: RP, 22. 4. 1899; Neues Wr. Journal, NFP, WZ, 25. 3., Das Vaterland, 14. 4. 1900; Almanach Wien 50, 1900, S. 293ff.; Eisenberg 2; Poggendorff 3–4 (m. W.); Carinthia II, 90, 1900, S. 71; V. Uhlig, in: Centralbl. für Mineral., Geol. und Palaeontol., 1900, S. 380ff. (m. W.); E. Tietze, in: Verhh. der k. k. geolog. Reichsanstalt, 1900, S. 179ff.; Die k. k. Dt. TH in Prag 1806–1906, red. F. Stark u. a., 1906, bes. S. 350f. (m. B.); R. Kettner, in: Časopis pro mineralogii a geologii 11, 1966, S. 495f. (m. B.); F. F. Steininger – E. Thenius, 100 Jahre Paläontolog. Inst. der Univ. Wien 1873–1973, 1973, S. 17f. (m. B.); Mitt. des Sudetendt. Archivs, F. 103, 1991, April–Juni, S. 60f.; E. Schübl, Mineral., Petrographie, Geol. und Paläontol., 2010, s. Reg.; Geolog. Bundesanstalt, UA, beide Wien; UA, München, D.
(T. Cernajsek)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 69, 2018), S. 377f.
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