Wahlberg, Wilhelm Emil (1824–1901), Rechtswissenschaftler

Wahlberg Wilhelm Emil, Rechtswissenschaftler. Geb. Prag, Böhmen (Praha, CZ), 4. 7. 1824; gest. Wien, 31. 1. 1901; röm.-kath. Sohn des Kaufmanns Karl Anton W. und dessen Frau Theresia W., geb. Bingler; ab 1857 verheiratet mit Hermine W., geb. Hütter (geb. Wien, 7. 8. 1828; gest. ebd., 11. 11. 1870), ab 1874 mit Maria W., geb. Kramer (geb. Berlin, Preußen/D, 27. 6. 1841; gest. Wien, 27. 2. 1875), der Witwe nach dem Advokaten Alois Herzog. – W. stud. Phil. und Rechtswiss. in Prag und Wien (1846–47, 1849 Dr. iur. ebd.) und unternahm danach Stud.reisen nach Dtld., Belgien und Frankreich. 1851 habil. er sich an der Wr. Juristenfak. für Strafrecht; 1854 ao., 1860 o. Prof. für Strafrecht an der Univ. Wien. 1865/66 fungierte W. als Dekan des jurid. Prof.kollegiums, 1874/ 75 als Rektor und 1884/85 als Dekan der jurid. Fak. 1870 vom HH zum Mitgl. des Staatsgerichtshofs gewählt, war W. ab 1871 Präses der judiziellen Staatsprüfungskomm. und 1. Vorstand der theoret. Staatsprüfungskomm. in Wien. Wegen einer Auseinandersetzung mit dem Extraordinarius →Salomon Mayer führte der Akadem. Senat gegen W. 1886–88 zwei Disziplinarverfahren, ersteres endete mit der Feststellung standeswidrigen Verhaltens, letzteres mit dem Ausspruch des Tadels. Angesichts fortgesetzter Anfeindungen an der Fak. wurde W. 1889 auf eigenen Wunsch i. d. R. versetzt. Wiss. beschäftigte sich W. nicht nur mit rechtsdogmat. Fragen, sondern auch mit der Geschichte des österr. Strafrechts. Sein Schwerpunkt lag auf der materiellen Strafrechtswiss., die er in Zusammenhang mit den Sozialwiss. stehend sah. Bereits 1869 postulierte er das Prinzip der Individualisierung in der Strafrechtspflege, bei der nicht nur die verbrecher. Handlung, sondern auch die Persönlichkeit des Täters in das Strafausmaß einfloss. W. verf. mehrere krit. Beitrr. zu österr., ung., dt. und italien. Strafrechtsentwürfen. Als Mitgl. der Strafgesetzkomm. im Justizmin. arbeitete er an dem Strafgesetzentwurf von 1874 mit. Er kritisierte das System der Rechtsverletzungen, war ein Verfechter der Geschworenengerichtsbarkeit und Gegner der Todesstrafe, gegen die er in seinem gedankenreichsten Werk „Criminalistische und nationalökonomische Gesichtspunkte mit Rücksicht auf das deutsche Reichsstrafrecht“ (1872) u. a. volkswirtschaftl. Argumente vorbrachte. Er untersuchte Möglichkeiten der Verbrechensprophylaxe und beschäftigte sich als Vorkämpfer der Fürsorge für entlassene Häftlinge mit der Praxis des Strafvollzugs. Zu seinen Schülern gehörten u. a. die Juristen →Heinrich Lammasch und →Franz v. Liszt. 1870 wurde W. zum Reg.Rat sowie 1872 zum HR ernannt, 1886 erhielt er den russ. St. Annen-Orden II. Kl.

Weitere W.: Die Ehrenfolgen der strafgerichtl. Verurtheilung, 1864; Das Princip der Individualisirung in der Strafrechtspflege, 1869; Gesammelte kleinere Schriften und Bruchstücke über Strafrecht, Strafprocess, Gefängnisskde., Literatur und Dogmengeschichte der Rechtslehre in Oesterr., 3 Bde., 1875–82; Ein Disciplinarproceß vor dem Akadem. Senate der Wr. Univ. in der Tagespresse, 1889.
L.: Innsbrucker Nachrichten, 5. 2. 1901; Inauguration Univ. Wien 1901/02, 1901, S. 22ff.; Wurzbach; H. Lammasch, in: Allg. österr. Gerichts-Ztg. 52, 1901, S. 49ff.; M. P. Tschubinsky, in: Z. für die gesamte Strafrechtswiss. 23, 1903, S. 64ff.; W. Schild, in: Juristen in Österr. 1200–1980, ed. W. Brauneder, 1987, S. 171ff.; K. M. Staudigl-Ciechowicz, Das Dienst-, Habil.- und Disziplinarrecht der Univ. Wien 1848–1938, 2017, s. Reg.; AVA, UA, beide Wien.
(K. M. Staudigl-Ciechowicz)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 69, 2018), S. 419f.
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