Walter, Gustav (1834–1910), Sänger

Walter Gustav, Sänger. Geb. Bilin, Böhmen (Bílina, CZ), 11. 2. 1834; gest. Wien, 30. 1. 1910. Aus einer Bäckerfamilie stammend. Vater von Minna W. (s. u.) und →Raoul W. – Bereits als Kind zeigte W. musikal. Begabung (Violine, Gesang), wandte sich aber zunächst techn. Stud. zu. 1850 besuchte er das Polytechnikum in Prag, danach arbeitete er als Ing. in der Lobkowitz’schen Zuckerfabrik in Bilin, trat daneben aber häufig als Amateursänger auf. Ab 1854 war er Schüler von Franz Vogl in Prag. Bereits ein Jahr darauf debüt. er am Brünner Stadttheater als Lord Arthur in Donizettis „Lucia di Lammermoor“, bald aber folgten große Partien im lyr. Tenorfach. Von →Rosa Czillag, die 1856 in Brünn gastierte, wurde er an →Julius Cornet empfohlen, der W. nach dessen Debüt in der Rolle des Gomez in →Conrad(in) Kreutzers „Das Nachtlager in Granada“ (1856) an die Wr. Hofoper engag. Ihr gehörte W. mehr als drei Jahrzehnte als 1. Tenor an. 1866 erfolgte seine Ernennung zum Kammersänger, 1867 zum Hofkapellensänger. In der Eröffnungsvorstellung des neuen Opernhauses am Ring 1869 sang W. den Don Ottavio in Mozarts „Don Juan“. 1870 wirkte er im Eröffnungskonzert des neuen Musikver.gebäudes mit. Im Wr. Opernhaus übernahm W. fast das gesamte Repertoire seines Vorgängers Alois Ander (→Alois Anderle), ebenso sang er viele integrale Tenor-Partien in neuen Werken. Er kreierte den Assad in →Karl Goldmarks „Die Königin von Saba“ und war im dt. Repertoire der erste Wr. Sänger des Hg. von Mantua, Manrico und Gf. Richard in →Giuseppe Verdis Opern „Rigoletto“, „Der Troubadour“ und „Ein Maskenball“. Weitere Partien, die er als Erster in Wien sang, waren Vasco da Gama in Meyerbeers „Die Afrikanerin“, Romeo in Gounods „Romeo und Julie“ und Wilhelm Meister in „Mignon“ von Ambroise Thomas, eine seiner berühmtesten Rollen, die er mehr als hundertmal sang und mit der er sich 1887 vom Opernpublikum verabschiedete. Im Wagnerfach galt sein Lohengrin als kardinale Leistung. In Wien war er zudem der erste Sänger des Walther von Stolzing in „Die Meistersinger von Nürnberg“, Erik in „Der fliegende Holländer“ und Loge in „Rheingold“. Einen ausgez. Ruf erwarb sich W. namentl. als Mozartsänger (Belmonte in „Die Entführung aus dem Serail“, Don Ottavio in „Don Juan“, Tamino in „Die Zauberflöte“). Nach eigenem Zeugnis sang er in 92 Opern und an 2.420 Abenden im Wr. Opernhaus. Als Richard Wagner in den 1860er-Jahren den Versuch unternahm, „Tristan und Isolde“ in Wien herauszubringen, befand sich auch W. unter den Kandidaten für die männl. Titelrolle. Wagner schätzte W. jedoch nicht bes. Hingegen wurde er von Hector Berlioz, →Johannes Brahms und →Anton Dvořák gewürdigt. In der Urauff. der Brahms-Kantate „Rinaldo“ sang W. 1869 das Tenorsolo, auch brachte er viele von dessen Liedern zur ersten öff. Auff. Brahms begleitete W. bei seinen Konzerten einige Male auf dem Klavier. Dvořák, dessen Lieder W. oft vortrug, widmete ihm die Nr. 1–7 seiner „Zigeunerlieder“. Neben seinem ruhmreichen Wirken im Opernfach schuf sich W. eine hervorragende Position als Oratorien- und Liedersänger. Er gilt als der eigentl. Begründer der Konzertgattung Liederabend. Ab 1875 wirkte er selbst als Konzertgeber und stellte seine Programme themat., oft in Zyklen, zusammen. Namentl. als Sänger von →Franz Schuberts Liedern leistete er Einzigartiges. Nach dem Abschied von der Oper setzte er seine Konzerttätigkeit bis in die letzten Lebensjahre fort. W. war oftmals Gast bei den Hofkonzerten und wurde sowohl von K. →Franz Joseph I. und Kn. →Elisabeth als auch von Obersthofmeister →Konstantin Prinz z. Hohenlohe-Schillingsfürst und dessen Gattin hochgeschätzt. Zu seinem Freundeskreis zählten →Theodor Billroth, →Eduard Hanslick, →Karl Goldmark und →Ignaz Brüll. W. gab Gastspiele in Dtld., England und Russland, v. a. als Liedersänger. Er war Ehrenmitgl. der Ges. der Musikfreunde in Wien (1871), der Wr. Hofoper (1881), des Wr. Männergesang-Ver. (1887) sowie des Schubertbunds (1888). 1892–94 unterrichtete er Gesang am KdM. Sein geschmeidiges, durch exzellente Pianokultur gekennzeichnetes Organ machte ihn zum Wr. Lieblingstenor. Kritiker wie Hugo Wolf missbilligten jedoch seinen Hang zum „Säuseln“. 1904 entstanden einige Tonaufnahmen, darunter das Schubertlied „Am Meer“, „Feldeinsamkeit“ von Brahms und die Arie des Wilhelm Meister „Leb’ wohl, Mignon“ aus Thomas’ „Mignon“, die eine erstaunl. reine und unversehrte Stimme erkennen lassen. Seine Tochter Minna (Wilhelmine) W. (geb. Wien, 20. 9. 1859; gest. Schloss Ottensheim, OÖ, 25. 7. 1901) war bis zu ihrer Hochzeit mit dem Gutsbesitzer Carl Pfeiffer v. Weissenegg 1889 ebenfalls Sängerin. Sie wurde von W. in Klavierspiel und Gesang unterrichtet und trat bereits in jugendl. Alter in Konzerten auf. 1881, nach Stud. bei Mathilde Marchesi in Wien, debüt. sie in Pressburg als Margarethe in Gounods „Faust“ („Margarethe“). Im selben Jahr wurde sie an die Oper in Frankfurt am Main engag., wo sie sich ein reiches Repertoire im lyr.-dramat. Sopranfach erwarb: Pamina in Mozarts „Die Zauberflöte“, Agathe in Webers „Der Freischütz“, Elsa in Wagners „Lohengrin“, Eva in „Die Meistersinger von Nürnberg“ und Sieglinde in „Die Walküre“. 1881 gab sie ein Gastspiel an der Wr. Hofoper als Pamina, wobei ihr Vater den Tamino sang. Auf ihre Frankfurter Verpflichtung folgte 1886/87 ein Engagement in Graz. Nach Gastspielen 1883 und 1885 war sie 1887–89 Mitgl. der Hofoper. Obwohl sie dort auch Partien wie Verdis Aida sang, erwies sie sich als nicht ganz ausreichend für das große Haus.

L.: Eisenberg, Bühne; Kutsch–Riemens (auch für Minna W.); E. Hanslick, in: Musikal. Skizzenbuch, 3. Aufl. 1888, S. 146ff.; C. Lafite, Das Schubertlied und seine Sänger, 1928, s. Reg.; E. Hilmar – M. Jestremski, Schubert-Lex., 1997; G. Gaiser-Reich, G. W. 1834–1910, 2011 (auch für Minna W., m. B.); M. Nunnenmacher-Röllfeld, Der Schubertsänger G. W., o. J. (m. B.).
(C. Höslinger)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 69, 2018), S. 471f.
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