Walzel, Oskar (Franz) (1864–1944), Literaturwissenschaftler

Walzel Oskar (Franz), Literaturwissenschaftler. Geb. Wien, 28. 10. 1864; gest. Bonn, Dt. Reich (D), 29. 12. 1944 (Ehrengrab); röm.-kath. Sohn des Kaufmanns und Samenhändlers August (Franz Josef) W. (geb. Wien, 3. 3. 1825; gest. ebd., 22., nicht 28. 9. 1899) und seiner Frau Franziska Maria (Fanny) W., geb. Krippel (geb. Wien, 29. 9., nicht 31. 8. 1826; gest. ebd., 16. 11. 1908; röm.-kath.), Neffe von →Camillo W.; ab 1894 verheiratet mit Hedwig Henriette W., geb. Karo (geb. Berlin, Preußen/D, 26. 3. 1870; gest. KZ Theresienstadt, Protektorat Böhmen und Mähren / CZ, 21. 11. 1944; mos., ab 1894 röm.-kath.). – Nach anfängl. Privatunterricht besuchte W. das Franz-Joseph-Gymn. in Wien. Nach der Matura 1883 stud. er bis 1887 an der Univ. Wien Germanistik bei Karl Rieger und Erich Schmidt, →Jakob Minor und →Richard Heinzel, bei letzteren beiden wurde er 1887 in Wien mit der Diss. „Friedrich Schlegels Abhandlung über das Studium der griechischen Poesie“ prom. Danach folgte W. Schmidt für das Wintersemester 1887/88 nach Berlin, wo er auch bei Wilhelm Dilthey, Hermann Grimm, Edward Schröder und →Johannes Vahlen Vorlesungen hörte. Nach der Rückkehr begann er eine Tätigkeit als Bibliothekar in der Wr. Hofbibl. (1892–95). 1894 habil. sich W. in Wien mit einem Kolloquiumsvortrag über „Lessings Begriff des Tragischen“ (unveröff.). 1897 erfolgte ein Ruf auf eine o. Professur nach Bern als Nachfolger Ludwig Hirzels. 1907 wurde W. als Nachfolger Adolf Sterns an die TH Dresden berufen, wo er Dir. des Literaturhist. Seminars war und zugleich auch an der Kunstakad. sowie an der Tierärztl. Hochschule lehrte. Die Dresdner Antrittsvorlesung über „Die Wirklichkeitsfreude der neueren schweizer Dichtung“ 1907 markiert das in Dresden weiter anwachsende Interesse an der Literatur der Moderne, die nicht zuletzt auch in seiner Fortführung von →Wilhelm Scherers „Geschichte der deutschen Literatur“ (1917, ab der 4. Aufl. 1928 mit einer Bibliographie von →Josef Körner) ihren Ausdruck findet: W.s Anhang über „Die deutsche Dichtung von Goethes Tod bis zur Gegenwart“ wurde i. d. F. auch eigenständig publ. (1919, 2. Aufl. 1920). Ebenso bedeutend ist die Entwicklung seiner Vorstellung von Ausdruckskunst, begleitet u. a. von der kurzen, aber nachhaltig wirksamen Abh. „Wechselseitige Erhellung der Künste. Ein Beitrag zur Würdigung kunstgeschichtlicher Begriffe“ (1917). 1921 erhielt er einen Ruf als Nachfolger Berthold Litzmanns an die Univ. Bonn. In den 1920er- und frühen 1930er-Jahren zählte W. zu den bedeutendsten und international renommiertesten Germanisten des dt. Sprachgebiets. Auslandsreisen nach Russland, England sowie Italien dokumentieren seinen Rang ebenso wie die zahlreichen Preise sowie Mitgl.schaften in literar. Vereinigungen und Akad. bis in die 1930er-Jahre hinein. Die Hrsg.schaft des „Handbuchs der Literaturwissenschaft“ (24 Bde., 1923–38) kann als die wohl bedeutendste wiss. Arbeit der späten Jahre gesehen werden. In Bd. 3 stellt er seine gestaltstypolog. Literaturtheorie ausführl. vor („Gehalt und Gestalt im Kunstwerk des Dichters“, 1929). Von der Bedeutung W.s zeugen auch eine FS zum 60. Geburtstag („Vom Geiste neuerer Literaturforschung“, ed. →Julius Wahle – Otto Klemperer, 1924), eine handschriftl. bibliophile Festgabe seiner Schüler anlässl. des 65. (im Bonner Nachlass) und die Ehrenplakette der Univ. Bonn zum 70. Geburtstag. Nach seiner Emer. 1933 unterrichtete W. weiter und war Dir. des Germanist. Seminars, bis ihm 1936 die Venia legendi auf Druck der Studentenschaft entzogen wurde. Aufgrund der jüd. Herkunft von W.s Ehefrau war das Ehepaar nach 1933 zunehmenden Repressionen ausgesetzt. W. starb bei einem Bombenangriff, der seine Bonner Wohnung in Brand setzte. Seine Biographie wurde durch seinen Schüler Carl Enders ed. („Oskar Walzel. Wachstum und Wandel. Lebenserinnerungen aus dem Nachlaß“, 1956). Tle. seiner Bibl. gelangten 1949 an die Bonner Univ.bibl. Auch der in Tle. erhaltene Nachlass wurde u. a. durch seinen Schüler Theodor Clasen bewahrt und später dorthin bzw. an das Dt. Literaturarchiv in Marbach am Neckar verkauft. An der TU Dresden wird seit 2009 mit dem O. W.-Preis, seit 2010 mit den O. W.-Vorlesungen und einer eigenen Schriftenr. (seit 2009) des ehemaligen Ordinarius gedacht.

Weitere W.: s. Internationales Germanistenlex.
L.: Hall–Renner; 150 Jahre Rhein. Friedrich-Wilhelms-Univ. zu Bonn, ed. O. Wenig, 1968, S. 124ff.; P. Salm, Drei Richtungen der Literaturwiss.: Scherer – W. – Staiger, 1970, S. 37ff.; H.-H. Müller, in: Europ. Barockforschung 1, ed. K. Garber u. a., 1991, S. 85ff.; R. Rosenberg, ebd., S. 113ff.; K. Naderer, O. W.s Ansatz einer neuen Literaturwiss., 1993; W. Schmitz, in: Wiss.geschichte der Germanistik in Porträts, ed. Ch. König u. a., 2000, S. 115ff.; Internationales Germanistenlex. 1800–1950, 3, 2003 (m. W.); H. Schmid, in: F. Vodička, ed. A. Jeličková, 2004, S. 18ff.; K. Weimar, in: Mitt. des Dt. Germanistenverbandes 53, 2006, H. 1, S. 40ff.; M.-G. Dehrmann, in: Geschichte der Germanistik 4, 2006, H. 29/30, S. 43ff.; A. Nebrig, ebd. 5, 2007, H. 31/32, S. 42ff.; A. Nebrig, Disziplinäre Dichtung, 2013, S. 68ff.; L. Mölck – B. Schaper, Teilnachlass O. W. Findbuch, 2007 (online, Zugriff 22. 10. 2017); B. Schaper, Ergänzung zum Teilnachlass O. W. Inhaltsverzeichnis, 2014 (online, Zugriff 22. 10. 2017); UA, Wien.
(P. Goßens)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 69, 2018), S. 477f.
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