Wankel, Heinrich (Jindřich) (1821–1897), Mediziner, Archäologe, Paläoanthropologe und Speläologe

Wankel Heinrich (Jindřich), Mediziner, Archäologe, Paläoanthropologe und Speläologe. Geb. Prag, Böhmen (Praha, CZ), 15. 7. 1821; gest. Olmütz, Mähren (Olomouc, CZ), 5. 4. 1897; röm.-kath. Sohn des Rechtsanwalts und Landesbeamten Damian W. (1769–1835) und der Magdalena W., geb. Schwarzová, Vater der Ethnographin und Sozialarbeiterin Lucie Bakešová-W. (1853–1935), der Belletristin und Ethnographin Karolina Absolonová-Bufková-W. (1855–1941), der Ethnographin Vlasta Havelková-W. (1857–1939) und der Ethnographin und Sozialarbeiterin Magdalena W. (1865–1922), Großvater von Jaroslav Bakeš (1871–1930), Chirurg in Wien, Trebitsch und Brünn, der dort das sog. Haus des Trostes begründete, sowie des Speläologen, Geographen und Archäologen Karl Absolon (1877–1960); ab 1851 verheiratet mit Elisabeth W., geb. Schimová (1832–1903). – Nach Besuch des Gymn. und der phil. Jgg. stud. W. ab 1841 Med. an der Univ. Prag, wo er bei →Josef Hyrtl die mikroskop. Anatomie kennenlernte; 1847 Dr. med., 1848 Dr. chir. 1849–83 war er im Gebiet von Blansko als Werksarzt in Diensten von →Hugo Karl Fürst Salm-Reifferscheidt tätig. Bekanntheit erreichte W. als einer der Begründer der archäolog. und speläolog. Wiss. in den böhm. Ländern sowie der prähist. Archäol. in der Monarchie. Er erforschte mit Unterstützung von Bergfachleuten und Salm-Reifferscheidt die Höhlen im Gebiet des Mähr. Karsts (Mähr. Schweiz), vermaß sie und zeichnete sie in Pläne ein. 1849–50 untersuchte er die Höhlen von Sloup und deren Umgebung, wobei er über 770 Knochen ausgestorbener Tiere entdeckte, 1852 die Höhlen bei Holštejn, 1854–57 die Macocha-Schlucht, die Punkva-Höhlen und die Höhle bei Ochoz, 1867–72 die Höhlen Býčí skála, Ovčí díra, Balcarova skála, Kravská díra, Kateřinská und Výpustek, 1878 ein Grab in Bořitov, weiters 1879–80 die Höhlen Pekárna, Eliščina und Kůlna mit einer altsteinzeitl. Siedlung sowie 1879–86 in Předmostí bei Prerau einen mittel- und jungsteinzeitl. Fundort mit einem ausgedehnten Lagerplatz von Mammutjägern. Darüber hinaus sammelte W. einzigartige Artefakte, erfand neue Präpariermethoden und stellte Knochen zu Skeletten diluvialer Tiere zusammen. 1883 trat er i. d. R. und übersiedelte nach Olmütz, wo er sich an der Gründung des Vlastivědné muz., des ersten tschech. Heimatmus. in Mähren, beteiligte. W. veröff. rund 80 Arbeiten v. a. für die Z. „Lotos“, „Mittheilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien“ (1871–82) und „Časopis Vlasteneckého muzejního spolku olomouckého“. Ab 1874 nahm er an internationalen archäolog. und anthropolog. Kongressen u. a. in Russland, im Dt. Reich und in Schweden teil. W. wurde von der jüngeren Archäologengeneration (u. a. →Karel Maška und →Martin Kříž) wegen eines fehlenden Forschungskonzepts und unzureichender Fundberr. sowie des Verkaufs seiner Smlg. (vermittelt von →Josef Szombathy) an die prähist. Abt. des Naturhist. Hofmus. in Wien kritisiert. Er war einer der ersten Mitgl. der anthropolog. Ges. in Wien und der Dt. Ges. für Anthropol., Ethnol. und Urgeschichte in Mainz sowie weiterer Vereinigungen im Inland, in den USA, in Russland und Dtld. 1855 wurde er Korrespondent der Geolog. Reichsanstalt in Wien, 1856–76 Mitgl. der Zoolog.-Botan. Ges. in Wien, 1883 Korrespondent und 1885 Konservator der Zentralkomm. für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und hist. Denkmale für Mähren. 1866 erhielt er das Goldene Verdienstkreuz mit der Krone. Inspiriert durch seine Forschungen, machte sich auch W.s Familie um den kulturellen, wiss. und sozialen Fortschritt in Mähren verdient, u. a. seine Töchter bei der Národopisná výstava českoslovanská (Böhm.-slaw. volkskundl. Ausst.) in Prag 1895.

W. (s. auch Novotný, 2012): Die Slouper Höhle und ihre Vorzeit, in: Denkschriften Wien, math.-nat. Kl. 28, 2. Abt., 1868; Eine Opferstätte bei Raigern in Mähren, in: Mitth. der Anthropolog. Ges. in Wien 3, 1873; Bilder aus der Mähr. Schweiz und ihrer Vergangenheit, 1882 (tschech. 1984, Nachdruck 2013); Beitr. zur Geschichte der Slawen in Europa, 1885; Die praehist. Jagd in Mähren, 1892; Ephemeriden aus meinem Leben, ed. M. Oliva – P. Kostrhun, 2017.
L.: Otto; Rieger; Wurzbach; Zlatá rodina, ed. B. Kladivo, 1936, passim; W. Angeli, in: Annalen des Naturhist. Mus. in Wien 73, 1969, S. 401ff.; K. Absolon, Moravský kras 1–2, ed. R. Kettner, 1970, passim; MUDr. J. W., otec moravské archeologie, ed. V. Grolich, 1971; J. Urban, in: Wiss. Beihe. zur Z. „Die Höhle“ 31, 1984, S. 80ff.; H. Parzinger u. a., Die Býčí skála-Höhle, 1995, passim; Sborník Muz. Blansko 59, 2007, S. 103ff.; G. Novotný, ebd., S. 17ff.; G. Novotný, J. Bakeš (1871–1930), 2012, S. 366ff. (m. W.); P. Kostrhun, Cesty moravské paleolitické archeologie v období Československé republiky, 2014, passim; Vlastivědné muz., Olomouc, Moravské zemské muz., Brno, beide CZ.
(G. Novotný)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 69, 2018), S. 484f.
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