Wasmann, Erich; genannt Ameisenpater (1859–1931), Entomologe

Wasmann Erich SJ, genannt Ameisenpater, Entomologe. Geb. Meran, Tirol (Meran/Merano, I), 29. 5. 1859; gest. Valkenburg aan de Geul (NL), 27. 2. 1931. Sohn von →Friedrich Wasmann und Elisabeth Wasmann, geb. Krämer. – Nach dem Besuch des Benediktinergymnasiums in Meran und des Franziskanergymnasiums in Hall in Tirol (1869–73) beendete W. seine Schulausbildung 1874 am Gymnasium Stella Matutina in Feldkirch. 1875 trat er in den Jesuitenorden ein. Das Noviziat verbrachte er im niederländischen Exaten in der Provinz Limburg. 1877–79 studierte W. im Kolleg zu Wijnandsrade klassische Sprachen und Literatur, widmete sich aber bereits damals den Naturwissenschaften. Seit seiner Jugend hegte er großes Interesse für die Zoologie, im Speziellen für die Entomologie, und legte Insekten-, insbesondere Käfersammlungen, an. 1879 wechselte W. ins Jesuitenkollegium nach Bleijenbeek, wo er bis 1882 blieb. 1884 kehrte er nach langer, schwerer Krankheit nach Exaten zurück, wo er bis 1890 privaten Theologieunterricht erhielt. Gleichzeitig begann er mit dem Studium der Tierinstinktforschung an Ameisen und ihren Mitbewohnern sowie des Verhaltens der Nestbewohner zueinander, zu fremden Ameisen und zu den zahlreichen myrmekophilen Käfern. Die Priesterweihe erhielt W. in Lüttich 1888. 1890 wurde er vom Jesuitenorden an die deutsche Universität in Prag entsandt, wo er Vorträge und Praktika bei →Berthold Hatschek und dem Zoologen Carl Cori besuchte. 1891 folgte ein Aufenthalt in Wien. Am Naturhistorischen Hofmuseum führte er wissenschaftliche Studien durch, an der Universität hörte er Zoologievorlesungen. Im Herbst 1892 kehrte er nach Exaten zurück. 1893 legte er das Ordensgelübde ab und wurde Mitarbeiter der Ordenszeitschrift „Stimmen aus Maria-Laach“, eine Funktion, die er zeit seines Lebens innehatte. Ab 1899 wohnhaft in Luxemburg, ging er von dort einer ausgedehnten Vortragstätigkeit, auch in Österreich, nach. 1911 übersiedelte W. in das Ignatiuskolleg Valkenburg aan de Geul, wo er bis zu seinem Tod lebte. Er verfasste rund 750 wissenschaftliche Publikationen, von denen ein Drittel sich mit den myrmekophilen und termitophilen Arthropoden befasste. Insbesondere untersuchte er die Phylogonie, die Anpassungserscheinungen, die Mimikry verschiedener Käferarten (v. a. von Kurzflüglern) in den Ameisen- und Termitenbauten im Freien und in künstlichen Nestern. Er zog die Mundwerkzeuge dieser „Ameisengäste“ als vergleichendes Untersuchungsmaterial heran und fertigte mikroskopische Schnitte und Photographien an. Dabei bearbeitete er einerseits die heimische Fauna, andererseits Material aus verschiedenen überseeischen Jesuitenmissionen. Weiters untersuchte er Käfer im baltischen Bernstein. W. war überzeugter Anhänger der Evolutionstheorie, für die er in der Anpassung der Ameisen- und Termitengäste einen klaren Beweis sah. Er bekannte sich zur Vorstellung einer von Gott entwicklungsfähig geschaffenen Welt, wodurch sich die Evolutionstheorie mit der katholischen Glaubenslehre vereinbaren ließ. W. distanzierte sich von der damals unter Katholiken weit verbreiteten Konstanztheorie, die eine Entwicklung der Arten im Darwin’schen Sinne ablehnte. Durch die Selbstständigkeit der einzelnen Individuen, das instinktive Handeln der jeweiligen Arbeiterinnen bezeichnet W. den Ameisenstaat als die vollkommenste Tiergesellschaft. W. war (Ehren-)Mitglied von zahlreichen naturwissenschaftlichen Gesellschaften, darunter Ehrenmitglied des Institut Grand-Ducal von Luxemburg, ab 1901 der Nederlandse Entomologische Vereniging, der Société scientifique de Bruxelles, der deutschen, englischen und brasilianischen entomologischen Gesellschaften sowie ab 1926 der Zoologisch-Botanischen Gesellschaft in Wien; 1921 Dr. phil. h. c. der Universität Freiburg im Breisgau. 1940 schlossen sich mehrere biologische Zirkel nordamerikanischer Universitäten zur W. Biological Society zusammen, deren wissenschaftliches Organ der „Wasmann Collector“ wurde. Seit 1950 erscheint diese Fachzeitschrift der Universität von San Francisco unter dem Namen „The Wasmann Journal of Biology“. W.s wissenschaftlicher Nachlass befindet sich im Natuurhistorisch Museum Maastricht.

W.: s. Schmitz.
L.: RP, Tiroler Anzeiger, 2., Salzburger Chronik, 3., Vorarlberger Volksblatt, 4., 5. 3. 1931; Jesuitenlex.; A. Reichensperger, in: Zoologischer Anzeiger 82, 1929, S. 1ff.; F. Heikertinger, Koleopterologische Rundschau 17, 1931, S. 89ff. (mit Bild); H. Schmitz, in: Tijdschrift voor Entomologie 75, 1932, S. 1ff.; H. Baranzke – E. Prieth, in: Der Schlern 70, 1996, S. 347ff., bes. 352ff. (mit Bild); E. Brandau, Sie nannten mich „Ameisenpater“, 2004 (mit Bild).
(V. Stagl)   
Zuletzt aktualisiert: 10.12.2019  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 8 (10.12.2019)