Wastl, Helene (1896–1948), Physiologin

Wastl Helene, Physiologin. Geb. Wien, 3. 5. 1896; gest. Philadelphia, PA (USA), 16. oder 17. 7. 1948; röm.-kath. Tochter des Eisenbahning. und Beamten der k. k. Staatsbahnen Peter W. und der Helene W.; 1932–38 (Scheidung) verheiratet mit dem Physiologen Franz Rudolf Lippay (1897–1965). – Das Gymn. (1907–16) absolv. W. am Innsbrucker Mädchen-Lyzeum der Ursulinen sowie an den Staatsgymn. Olmütz und Innsbruck. 1916 nahm sie das Med.stud. an der Univ. Innsbruck auf; 1922 Dr. med. Bereits ab 1917 war sie am physiolog. Inst. unter →Ernst Theodor v. Brücke als Demonstrator, ab März 1921 als Hilfsass. tätig. 1922 wurde W. zur ao. Ass. am physiolog. Inst. der Univ. Wien bestellt und hielt in Vertretung von Arnold Durig die Vorlesung „Grundzüge der Physiologie des Menschen“ im Rahmen des Turnlehrerausbildungskurses. Ihre Kenntnisse vertiefte sie durch Stud.aufenthalte an den physiolog. Inst. in Graz, Groningen, Cambridge und Paris. Als erster Frau wurde W. im Jänner 1930 vom Prof.kollegium der med. Fak. in Wien die Venia legendi für Physiol. verliehen. In ihrer Habil.schrift befasste sie sich mit der Wirkung des Adrenalins auf Kontraktionen des Warmblüter-Skelettmuskels. Nach einer weiteren Stud.reise nach England 1930 führte W. im Frühjahr 1931 Erhebungen in verschiedenen europ. Staaten für die Hygiene-Sektion des Völkerbunds durch. 1931 übernahm sie die Position eines Acting Prof. of Physiology am Woman’s Medical College in Philadelphia; 1932/33 und 1933/34 Prof. Nach einem Reitunfall 1934 und einer mehrmonatigen Beurlaubung kam W. 1934/35 als Resident Doctor bei Joseph A. Dye am Dep. of Physiology and Biochemistry des Medical College der Cornell Univ. in Ithaca unter. Nachdem die Suche nach einer akadem. Position in den USA erfolglos blieb, nahm W. eine Professur in der UdSSR an und wirkte von Juli 1936 bis Jänner 1938 unter schwierigen Bedingungen als Prof. für Physiol. an der dt.sprachigen Abt. der med. Univ. Saratov. Aufgrund der polit. Situation in der Sowjetunion kehrte sie Anfang 1938 in die USA zurück. Von Herbst dieses Jahrs bis zu ihrem Tod arbeitete sie als Research Associate am Dep. of Pharmakology, später am Dep. of Anatomy des Hahnemann Medical College in Philadelphia. 1943 erfolgte die Aberkennung ihres Dr.titels wegen Ausbürgerung durch die Univ. Innsbruck. Während ihrer Wr. Zeit legte W. rund 50 wiss. Abhh. vor, darunter experimentell-physiolog. Publ. sowie Arbeiten zum Thema der Reizphysiol., zu physikal. und chem. Eigenschaften des Bluts, insbes. zur Senkungsgeschwindigkeit, sowie zu ernährungsmed. Fragen. In einigen populärwiss. Artikeln befasste sie sich mit der Bedeutung von Sojamehl als Volksnahrungsmittel. Eine Reihe von Stud. verf. sie mit ihrem damaligen Kollegen, dem Lebensmittel-Physiologen Laszlo Berczeller. Am Woman’s Medical College und an der Univ. Saratov war Forschung kaum mögl., erst nach 1938 nahm W. ihre Publ.tätigkeit wieder vermehrt auf und veröff. u. a. gem. mit dem Homöopathen Garth Boericke. Ihre Beitrr. erschienen u. a. in der „Zeitschrift für Biologie“, in der „Biochemischen Zeitschrift“, in „Pflügerʼs Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere“, in den „Archives Internationales de Pharmacodynamie et de Thérapie“ und im „Journal of Physiology“.

Weitere W.: Das Sojamehl als Nahrungsmittel, in: WMW 76, 1926; Zur Ernährungsfrage von Europa, 1927 (gem. m. Berczeller); Untersuchungen von Wr. Lebensmitteln, in: Z. für Untersuchung der Lebensmittel 57, 1929; Comparative observations on heat contracture and excitability at various temperatures in skeletal muscles of cold-blooded animals 1, in: Acta Zoologica 16, 1935, 2, ebd. 17, 1936; Influence of ephedrine sulfate on blood pressure in hypertensive rats, in: Hahnemann Monthly 81, 1946.
L.: NWT, 11. 8. 1931; J. Bauer-Merinsky, Die Auswirkungen der Annexion Österr. durch das Dt. Reich auf die med. Fak. der Univ. Wien ... 1938, phil. Diss. Wien, 1980, S. 280; M. Steibl, Frauenstud. in Österr. vor 1945 … 1, phil. Diss. Innsbruck, 1985, S. 71ff.; S. Horn – G. Dorffner, in: Töchter des Hippokrates, ed. B. Bolognese-Leuchtenmüller – S. Horn, 2000, S. 117ff.; Wissenschafterinnen in und aus Österr., ed. B. Keintzel – I. Korotin, 2002 (m. B.); S. Lichtmannegger, in: Frauen in Tirol, ed. H. Schreiber u. a., 2003, S. 205ff.; UA, Wien; UA, Innsbruck, Tirol; Division of Rare and Manuscript Collections, Cornell Univ., Ithaca, College of Medicine Drexel Univ., Philadelphia, beide USA; Saratovskij gosudarstvennyj medicinskij univ. im. V. I. Razumovskogo, Saratov, RUS.
(S. Lichtmannegger)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 70, 2019), S. 16f.
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