Weiner, Richard; Ps. Jan Bol, Štěpán Golev (1884–1937), Schriftsteller und Journalist

Weiner Richard, Ps. Jan Bol, Štěpán Golev, Schriftsteller und Journalist. Geb. Pisek, Böhmen (Písek, CZ), 6. 11. 1884; gest. Praha, Tschechoslowakei (CZ), 3. 1. 1937; mos. Sohn des wohlhabenden Fabrikanten von Süßwaren und Likören Gabriel W. – W. besuchte die Handelsakad. in Prag und wechselte 1896 an das Realgymn. in seiner Geburtsstadt (Matura 1902). Danach stud. er auf Wunsch des Vaters Chemie an der Prager tschech. TH (Ing. 1906) und vertiefte seine Kenntnisse in Zürich und Aachen. Nach dem Einjährig-Freiwilligen-Jahr war er 1908 als Laborant in einer privaten Fa. in Pardubitz, später in Freising tätig. Kurz danach erfolgte seine Anstellung in einer Fabrik für Malzprodukte in Allach bei München. Anfang 1912 wurde er Korrespondent der radikal-fortschrittl. WS „Samostatnost“ in Paris. Während der Balkankriege diente W. an der serb.-bosn. Grenze. Im Mai 1913 war er neuerl. in Paris als Korrespondent der liberalen Ztg. „Lidové noviny“ tätig, veröff. aber auch Beitrr. in den „Národní listy“ und im „Venkov“. Kurz nach Ausbruch des 1. Weltkriegs an die serb. Front berufen, erlitt er im Jänner 1915 einen psych. Zusammenbruch und wurde aus dem Militärdienst entlassen. Danach wirkte er ab 1917 als Red. von „Venkov“ sowie „Národní listy“ und nach dem Krieg der „Lidové noviny“. 1919 reiste er als deren Korrespondent erneut nach Paris. Mitte der 1920er-Jahre pflegte er enge Kontakte zur präsurrealist. Gruppe Le Grand Jeu (René Daumal, Roger Gilbert-Lecomte, Roger Vailland), die großen Einfluss auf sein Werk hatte. Nach ihrer Auflösung kehrte W., enttäuscht und schwer krank, 1935 nach Prag zurück. Sein belletrist. Œuvre gehört zu den interpretator. anspruchsvollsten in der tschech. Literatur. Nach frühen impressionist. Werken, die von Harmonie im Leben handeln („Usměvavé odříkání“, 1914), ist seine Entwicklung von der Darstellung wachsenden Selbstzweifels gekennzeichnet. Zu weiteren Charakteristika von W.s Schaffen zählen eine verzweigte Erzählstruktur und eine Zerrissenheit des Individuums. Die innere Wahrnehmung wird immer mehr mit der realen Welt („Netečný divák a jiné prosy“, 1917) konfrontiert. In der expressionist. Erz.smlg. „Lítice“ (1916, tw. zensuriert, vollständige Ausg. 1928) beschreibt W. das Kriegsgeschehen aus der Perspektive eines Ich-Erzählers mit gespaltener Persönlichkeit. Ged. aus dieser Zeit („Mnoho nocí“, 1928; „Zátiší s kulichem, herbářem a kostkami“, 1929) sind von der Beschreibung von Traumwelten und des Unterbewusstseins geprägt. In der Smlg. „Mezopotamie“ (1930) ist die Suche nach göttl. Allmacht immer wieder mit dem konkreten Alltagsleben verbunden. In seinen autobiograph. rationalen und analyt. Prosawerken („Lazebník“, 1929; „Hra doopravdy“, 1933) beschäftigt er sich mit der Problematik des künstler. Schaffens und dessen erkenntnistheoret. Möglichkeiten sowie mit eth. Fragen wie Sünde und Vergebung. W. ist weiters Autor zahlreicher Kolumnen und Beitrr. u. a. über Theater, Literatur, Film und darstellende Kunst; eine Smlg. von Artikeln über das Ende der Monarchie und die Entstehung der Tschechoslowakei erschien als Buch („Třásničky dějinných dnů“, 1919). Ins Tschech. übers. W., ein ausgewiesener Kenner der französ. Kultur, mehrere Werke u. a. von Louis-Ferdinand Céline (gem. mit Jindřich Hořejší und Jaroslav Zaorálek), George Duhamel, Valery Larbaud sowie Jules Romains.

Weitere W.: Spisy, ed. Z. Trochová, 4 Bde., 1996–2002.
L.: Ranní noviny, 4., České slovo, Národní osvobození, Právo lidu, 5. 1. 1937; Lidové noviny, 4.–6. 1. 1937; LČL; Masaryk; J. Chalupecký, R. W., 1947 (m. B.); J. Mourková, Buřici a občané, 1988, s. Reg.; W. Spitzbardt, in: R. W., Der gleichgültige Zuschauer, 1992, S. 255ff.; J. Pelikánová, in: R. W., Solný sloup, 1996, S. 333ff. (m. B.); M. Langerová, R. W., 2000 (m. B.); K. Srp – J. Šíma, in: Umění 52, 2004, S. 11ff.; Lex. der Weltliteratur. Fremdsprachige Autoren L–Z, ed. G. v. Wilpert, 4. neubearb. Aufl. 2004; S. Widera, in: R. W., Kreuzungen des Lebens, ed. S. Widera, 2005, S. 291ff.; F. Charvát, R. W. oder Die Kunst zu scheitern, 2006; P. Málek, Melancholie moderny, 2008, s. Reg.; Kapitel aus der Poetik – die zehner Jahre in der tschech. Literatur zwischen Symbolismus und Avantgarde, ed. B. Krehl, 2008, S. 184ff., 229ff., 243ff.; Čtení o R. W., ed. P. Málek, 2017 (m. B.).
(V. Petrbok)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 70, 2019), S. 64f.
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