Weisse, Adolf; ursprüngl. Weiss, 1904 amtl. Namensänderung in Weisse (1855–1933), Schauspieler und Theaterdirektor

Weisse Adolf, ursprüngl. Weiss, 1904 amtl. Namensänderung in Weisse, Schauspieler und Theaterdirektor. Geb. Taucz, Ungarn (Tauț, RO), 4. 4. 1855; gest. Wien, 17. 7. 1933 (Ehrengrab: Wr. Zentralfriedhof); mos. Sohn des Gutsbesitzers Ignatz Weiss und der Charlotte, geb. Rechnitz (gest. 1895), Vater des Komponisten und Musikpädagogen Hans W. (1892–1940); verheiratet mit Rosina, geb. Kahane. – W. verbrachte seine Jugendjahre in Venedig. Nach der Übersiedlung nach Wien besuchte er die Greysche Theaterschule (im Palais Wertheim, Wien 1), später folgte ein Stud. „der kultivierten Pflege des Wortes“ bei →Josef Lewinsky. Seinen ersten Auftritt hatte er auf Empfehlung von Valerie Grey im April 1878 am Dt. Theater in Budapest bei einer Wohltätigkeitsvorstellung (als Choiseul in „Narziß“ von Albert Emil Brachvogel). Im Fach des Intriganten erhielt er 1879 ein erstes Engagement am Hoftheater Kassel, 1885 ging er ans kgl. Schauspielhaus nach Berlin und 1887 als erster Charakterdarsteller ans Kölner Stadttheater. 1889 wurde W. ans neu gegr. Dt. Volkstheater in Wien berufen, wo er in der Eröffnungsvorstellung den von →Ferdinand Frh. v. Saar verf. Prolog sprach; seine erste Rolle war Kg. Karl („Bluthochzeit“ von Albert Lindner). Als feinfühliger Charakterspieler und markanter Sprecher wurde er zu einer der Stützen des Ensembles. Mit seinem großen Erfolg als Staatsanwalt Tschuku („Hochzeit von Valeni“ von Ludwig Ganghofer) begründete er seinen Ruhm als einer der besten Wr. Charakterschauspieler der Zeit, später war er durch seine hohe, distinguierte Gestalt auch im Fach der „Pères nobles“ erfolgreich. Seine wirkungsvollsten Rollen waren Napoleon („Madame Sans Gêne“ von Victor Sardou), Baron Hofäcker („Fastnacht“ von Richard Jaffé), Holger („Über unsere Kraft“ von Bjørnstjerne Bjørnson) und Dr. Rank („Nora oder Ein Puppenheim“ von Henrik Ibsen). Mit der Interpretation der Charaktergestalten der klass. Literatur Geßler (Schiller, „Wilhelm Tell“), Riccaut de la Marlinière (Lessing, „Minna von Barnhelm“), Shylock (Shakespeare, „Der Kaufmann von Venedig“), Rudolf von Habsburg und Nathan gastierte er auch noch nach seinem Ausscheiden aus dem Volkstheater in Budapest und Prag sowie Graz, Salzburg und Innsbruck. Im März 1902 trat W. als Mitdir. in die Dion. des Dt. Volkstheaters ein und leitete das Haus nach dem Tod →Emmerich Bukovicsʼ v. Kis-Alacska von Juli 1905 bis Juni 1916. Unter ihm kamen 345 Inszenierungen heraus, viele davon wurden 45-mal und öfter gespielt. W. brachte die Samstagnachmittags- und Montagabendvorstellungen im Volksbildungswesen zur vollen Geltung. Durch Einladung von Ensembles aus Berlin und München, die in Wien verbotene Stücke im Repertoire hatten, konfrontierte er das Publikum mit neuer Literatur und Ästhetik. Das Volkstheater wurde bis in den 1. Weltkrieg zur „Heimat des kunstliebenden Bürgertums“ und zum „Haus der Wiener Gesellschaft“. V. a. die Entdeckung des jungen Ferenc Molnár („Der Teufel“, 1908; „Der Gardeoffizier“, 1910), →Karl Schönherrs („Glaube und Heimat“, 1910) und →Ludwig Anzengrubers („Der Pfarrer von Kirchfeld“, 1915) sowie die Dramen →Hermann Bahrs, Stefan Zweigs und Anton Wildgansʼ fanden beim Publikum großen Widerhall. 1903 gelang es ihm, die von der Zensur streng behandelte „Salome“ von Oscar Wilde auf die Bühne zu bringen; 1908 zeigte er erstmals in Wien Wedekinds „Frühlings Erwachen“; bei →Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“ scheiterte er trotz mehrfacher Versuche 1912 an der Zensur. Unter seiner Ägide wurde 1907 →Richard Straussʼ Oper „Salome“ erstmals in Wien gezeigt. Daneben umfasste der Spielplan auch die Werke der Weltliteratur und Größen der Zeit, wie George Bernard Shaw, Maurice Maeterlinck, Maxim Gorki, Lew Tolstoi, John Galsworthy, Gabriele D’Annunzio oder Romain Rolland. W.s Anspruch an seinen Spielplan war literar. und gesellschaftskrit. Durch seinen Spürsinn für schauspieler. Talente stand das Volkstheater auch darsteller. nicht hinter dem Burgtheater zurück, sodass es sich leisten konnte, Klassiker parallel zu spielen, etwa →Franz Grillparzers „König Ottokars Glück und Ende“ (→Viktor Kutschera – W. im Volkstheater, →Georg Reimers – →Max Devrient am Burgtheater). Im Herbst 1915 kam es zu Unstimmigkeiten im Ensemble des Dt. Volkstheaters, vier Ensemblemitgl. klagten W., da er sein Versprechen, die seit Kriegsbeginn gekürzten Gagen wieder voll auszuzahlen, nicht gehalten hatte. Mit Hilfe des Vors. der Dt. Bühnengenossenschaft konnte der Konflikt beigelegt werden, die Vertrauenskrise ließ W. allerdings seinen bis 1921 laufenden Vertrag auflösen und aus dem Volkstheater ausscheiden. 1920–25 wirkte W. auch in mehreren Stummfilmen mit. Danach zog er sich aus dem Berufsleben zurück.

L.: WZ, 14. 9. 1919; Neues Wr. Journal, 17., AZ, Illustrierte Kronen Ztg., NFP, WZ, 18. 7. 1933; Eisenberg 1; Eisenberg, Bühne; L. Klinenberger, in: Bühne und Welt 11/1, 1908/09, S. 201ff.; K. Glossy, Vierzig Jahre Dt. Volkstheater, 1929, s. Reg. (s. Theodor W.); Dt. Bühnen-Jb. 45, 1934, S. 109f.; 60 Jahre Dt. Volkstheater, 1949, S. 26ff.; Volkstheater. 75 Jahre (1889–1964), 1964, S. IXff.; Maske und Kothurn 13, 1967, S. 243ff.; V. Keil-Budischowsky, in: Wr. Geschichtsbll. 44, 1989, S. 102ff.; 100 Jahre Volkstheater, ed. E. Schreiner, 1989, S. 10ff.; P. Steines, Hunderttausend Steine. Grabstellen großer Österreicher jüd. Konfession …, 1993, S. 301 (m. B.); IKG, Wien.
(E. Großegger)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 70, 2019), S. 97f.
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