Weltner, Jakab (1873–1936), Politiker und Journalist

Weltner Jakab, Politiker und Journalist. Geb. Budapest (H), 6. 12. 1873; gest. ebd., 10. 4. 1936; mos. Sohn eines Bahnangestellten; zweimal verheiratet. – W. kam früh in ein Waisenhaus und absolv. nach nur sechsjährigem Schulbesuch eine Tischlerlehre. 1894 trat er dem Tischler-Fachver. bei und begann sich in der Gewerkschaft der Holzverarbeiter zu engag. Anschließend ging er auf Wanderschaft. Aufenthalte in Wien, Linz, Salzburg und München bestärkten ihn in seinem Entschluss, sich für die Arbeiterbewegung einzusetzen. In seinen Erinnerungen „Millijók egy miatt“ (1927) schrieb er, dass er in Wien zum Sozialdemokraten geworden sei. 1898 wurde er durch Vertrauensleute in die Parteiführung der Magyar Szociáldemokrata Párt kooptiert, wo er 1898–1907 die Position des Parteisekr. innehatte. Wegen seiner öff. Reden verbüßte er mehrmals kürzere Gefängnisstrafen. 1905 war er mitverantwortl., dass das Parteibl. „Népszava“ in eine Tagesztg. umgewandelt wurde. Bis an sein Lebensende gehörte er zu deren führenden Journalisten. Neben der Ausarbeitung ihres Programms 1903 beteiligte sich W. an der Pflege der internationalen Beziehungen der Partei und vertrat Ungarn mehrmals auf Plenarsitzungen des Bureau Socialiste International. Ab dem Spätsommer 1918 nahm er aktiv an der Organisation der polit. Opposition teil und gehörte zu den Gründungsmitgl. des Nationalrats, der im Oktober 1918 als Gegenregierung auftrat. Ansonsten bekleidete er 1918–19 jedoch keine bedeutende polit. Position, weder in der Zeit der prov. Regierungen noch während der Rätediktatur. Mitte November 1918 lehnte er eine Beteiligung an der Gründung der Ung. Kommunist. Partei ab. Als Chefred. der „Népszava“ (von November 1918 bis Juni 1919) trat er offen gegen die kommunist. Agitation auf. Karl Marxʼ „Lohnarbeit und Kapital“ übers. er ebenso ins Ung. („Bérmunka és tőke“, 1898, mehrfach aufgelegt) wie →Karl Kautskys „Nationalstaat, imperialistischer Staat und Staatenbund“ („Nemzeti állam, imperialista állam és államszövetség“, 1915). Im März 1919 unterschrieb er, trotz seiner vordem antikommunist. Haltung, das Fusionsdokument der sozialdemokrat. und der kommunist. Partei. In der „Népszava“ kritisierte er die Übergriffe der Rätediktatur, wahrte aber gleichzeitig den Anschein der Parteieinheit. Im Juli 1919 führte er im Auftrag der Räteregierung mit Entente-Vertretern in Wien Verhh. über eine Gewerkschaftsregierung. Von August 1919 bis Juli 1924 lebte er getrennt von seiner Familie in der Emigration, meist in Wien, für kurze Zeit auch in Franzensbad und in New York. Er blieb jedoch gegenüber den ung. Emigrantenkreisen in Wien auf Distanz und verhielt sich in dieser Zeit weitgehend apolit. Aufgrund eines internen Rundschreibens des ung. Ministerrats kehrte er im Juli 1924 als einer der wenigen sozialdemokrat. Emigranten nach Budapest zurück, arbeitete erneut in der Red. der „Népszava“ und betrieb eine intensive Publ.tätigkeit. Das gegen ihn eingeleitete Verfahren wurde 1929 nach der Begnadigung durch Miklós Horthy eingestellt. Sein zweites autobiograph. Werk „Forradalom, Bolsevismus, Emigráció“ (1929) enthält seine Erinnerungen an die polit. Geschehnisse im Zeitraum 1918–24 in Ungarn. Von 1931 bis zu seinem Tod fungierte er als sozialdemokrat. Abg. des ung. Unterhauses.

L.: M. Életr. Lex.; T. Erényi, in: Budapest 8, 1970, Nr. 10, S. 32ff.; E. Varsányi, W. J. életúja, 1988 (m. B.); A magyar szociáldemokrácia kézikönyve, ed. T. Erényi u. a., 1999, S. 485f.
(I. Murber)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 70, 2019), S. 111f.
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>