Wichtl, Friedrich Georg (1872–1921), Politiker, Schriftsteller und Jurist

Wichtl Friedrich Georg, Politiker, Schriftsteller und Jurist. Geb. Wien, 15. 3. 1872; gest. ebd., 29. 7. 1921; röm.-kath., ab 1899 evang. AB. Sohn des Buchhalters Ferdinand W. und dessen Frau Rosa W., geb. Nagelschmidt; ab 1899 verheiratet mit Maria Josefa W., geb. Müller. – W. besuchte das Gymn. und stud. ab 1893 Rechtswiss. an der Univ. Wien; 1902 Dr. iur. 1894 gehörte er zu den Gründungsmitgl. der späteren Burschenschaft Alania. Der begabte Geiger, der bereits ab 1884 Konzerte gab, war neben seinem Stud. zeitweise als Violinlehrer und Instruktor in einem gräfl. Haus tätig. Bereits ab 1899 Inhaber und Dir. einer privaten Schule für Juristen, war er 1904 Gründer und Dir. der ersten österr. Privatrechtsschule, an der Repetitorien für Jusstudenten abgehalten wurden. Polit. aktiv wurde W. zunächst als Obmann der Ortsgruppe Josefstadt des Bunds der Deutschen in NÖ. Nach dem polit. und privaten Bruch →Georg v. Schönerers mit →Karl Hermann Wolf gründete Letzterer die Freialldt. Partei, der sich W. anschloss. Für W. stand der Nationalitätenkonflikt in Böhmen im Vordergrund seiner polit. Betätigung. Ab 1904 Vorstandsmitgl. des Dt.nationalen Ver. für Österr., trat er 1907 erstmals erfolglos für die Freialldeutschen (nunmehr Dt.radikale Partei) bei den RR-Wahlen an. Ab 1910 Mitgl. der dt.radikalen Reichs- und Landesparteileitung, kandidierte W. ein weiteres Mal erfolglos bei den Wr. Gmd.ratswahlen von 1910, wobei er für ein Zusammengehen mit den „arischen“ Christl.sozialen gegen die Sozialdemokraten, Tschechen, Juden und Freimaurer eintrat. 1911 erfolgte W.s Wahl in den RR als Abg. der Dt.radikalen Partei (bis 1918). Nach Einrichtung der Dt.nationalen Geschäftsstelle in Wien 1908 fungierte W. als deren stellv. Geschäftsführer sowie unter Parteichef Wolf auch als Obmann der Wr. Dt.radikalen. W. vertrat innerhalb der Partei den erstarkenden staatsbejahenden, nicht antiklerikalen Flügel. Während des 1. Weltkriegs tat er kurz Dienst, rüstete aber aus gesundheitl. Gründen wieder ab. Von Oktober 1918 bis Februar 1919 Mitgl. der prov. Nationalversmlg. Dt.österreichs, verwahrte sich W. noch im Dezember 1918 dagegen, Republikaner zu sein, da der Anschluss an Dtld. auch in einer Monarchie vollzogen werden könne. Für die Nationalratswahl im Oktober 1920 ließ er sich als Kandidat einer vom radikalen Antisemiten Anton Orel geführten Christl.-Nationalen Partei aufstellen, zog die Bewerbung aber wieder zurück. Als die Dt.radikale Partei die von Wolf 1890 gegr. „Ostdeutsche Rundschau“ zurückkaufte, fungierte W. 1908–13 als deren Hrsg. V. a. mit zwei Werken avancierte W. zum führenden Verschwörungstheoretiker: In „Dr. Karl Kramarsch, der Anstifter des Weltkrieges“ (1917, 3. Aufl. 1918) versuchte er zu beweisen, dass →Karel Kramář als Agent Russlands und Serbiens der Kopf einer neuslaw. Bewegung sei, die sich die Zerstörung Österr.-Ungarns, die Vertreibung der Habsburger und die Etablierung einer selbstständigen tschech. Republik zum Ziel gesetzt habe. 1919 kam „Weltfreimaurerei. Weltrevolution. Weltrepublik. Eine Untersuchung über Ursprung und Endziele des Weltkrieges“ (11. Aufl. 1928) heraus. Darin behauptete W., dass die Freimaurerlogen der Entente die Ermordung Erzhg. →Franz Ferdinands beschlossen hätten und damit die wahren Kriegsschuldigen seien. Im Kampf Autokratie (in den beiden K.reichen Österr.-Ungarn und Dtld.) gegen Demokratie habe Letztere in einer revolutionären Weise gesiegt, sodass es zu einem Sturz der Monarchien und Religionen gekommen sei. Das Endziel sei die Errichtung einer atheist.-bolschewist. Weltrepublik, in der Freimaurer und Juden herrschten. Mit seinem Freimaurer-Buch, das auch vom jungen Heinrich Himmler gelobt wurde, ging W. bis zu seinem Tod auf Lesereise, u. a. auf Einladung des dt.völk. Schutz- und Trutzbunds im Dt. Reich. Bes. großen Anklang fanden seine Thesen in Budapest, wohin ihn der völk.-antisemit. Bund der Erwachenden Ungarn einlud. Miklós Horthy, unter dessen Herrschaft das von den Kommunisten ausgesprochene Verbot der Freimaurerei in Kraft blieb, gewährte W. im September 1920 eine Audienz.

Weitere W.: Brief an … den Herrn Ministerpräs. Gf. Stürgkh, 1916; Freimaurer-Morde, 1920.
L.: RP, 1., 3. 8. 1921; Vbg. Volksfreund 20, 1913, Nr. 45, S. 1f.; E. Pichl, G. Schönerer 5, 1938, S. 349, 355, 407f., 6, 1938, S. 180, 188; G. Berka, 100 Jahre Dt. Burschenschaft in Österr., 1959, S. 19; L. Höbelt, Kornblume und Kaiseradler, 1993, s. Reg.; H. Dvorak, Biograph. Lex. der Dt. Burschenschaft 1/6, 2005 (m. B.); P. Longerich, H. Himmler, 2008, S. 36; R. Markner, in: Hdb. der Verschwörungstheorien, ed. H. Reinalter, 2018, S. 334ff.; Luther. Stadtkirche, Pfarre Landstraße-St. Rochus, beide Wien.
(M. Wladika)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 170f.
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