Wiener, Wilhelm Ritter von; bis 1855 Wiener Wolf (1828–1890), Journalist

Wiener Wilhelm Ritter von, bis 1855 Wiener Wolf, Journalist. Geb. Prag, Böhmen (Praha, CZ), 7. 9. 1828; gest. Wien, 18. 6. 1890; mos., ab 1855 röm.-kath. Sohn des Kaufmanns Abraham Wolf Wiener (geb. 1798; gest. Prag, 23. 12. 1863) und von Rosalia Wiener, geb. Beck (geb. 1800); ab 1862 verheiratet mit Eveline v. W., geb. Weiße. – W. stud. nach dem Gymn. zunächst Rechtswiss. an der Univ. Prag, später an der Univ. Wien (nicht nachweisbar). Im Revolutionsjahr 1848 war er Mitarb. der „Wiener Sonntagsblätter“ von →Ludwig August v. Frankl-Hochwart und des radikalen Bl. „Wiener Katzenmusik (Charivari)“, 1850 des „Fremden-Blatts“. Nach Abschluss des Jusstud. wurde er 1853 Konzeptspraktikant in der nö. Finanzlandesdion., kehrte aber nach einem Jahr zum „Fremden-Blatt“ zurück, wo er als Lokalred. tätig war. Ab Oktober 1857 erschienen darin die „Briefe eines Müssiggängers“, die einen „Blick hinter die Coulissen“ der Bühne, Mode, Ges. und Wirtschaft gewähren wollten. Als Vorbilder dienten ihm wahrscheinl. die „Briefe eines Eipeldauers …“ und die „Komischen Briefe des Hans-Jörgel …“. Die Rubrik fand später ihre Fortsetzung im „Neuen Fremden-Blatt“ durch „Was man in Wien erzählt“ (1864–66) und „Wiener Plaudereien“ (1865–66). Ob der sprachl. Fehler boten sie oft selbst Anlass für Spott in den Witzbll. 1859 diente W. als Freiwilliger im Sardin. Krieg. Von September 1862 bis April 1865 fungierte er als verantwortl. Red. des „Fremden-Blatts“, wobei sich das Verhältnis zwischen dem Hrsg. und W. zusehends verschlechterte. Bereits im April 1863 kündigte er gem. mit →Isidor Heller die Gründung der neuen Tagesztg. „Neues Fremden-Blatt“ an, die mit Mai 1865 schließl. startete. Ab November 1869 begleitete W. als Sonderberichterstatter den Besuch K. →Franz Josephs I. in Konstantinopel und Ägypten. Diese Berr. veröff. er 1870 unter dem Titel „Nach dem Orient“. Nachdem Heller im Oktober 1871 als Miteigentümer und -hrsg. ausgeschieden war, scheint auch das Interesse W.s an der Ztg. erlahmt zu sein. Obwohl das äußere Erscheinungsbild i. d. F. modernisiert wurde und hervorragende Journalisten tätig waren, blieb der wirtschaftl. Erfolg aus. Zuletzt sicherte →Friedrich Frh. v. Leitenberger den Fortbestand, ehe das Bl. im Februar 1876 eingestellt wurde. Inzwischen hatte sich W. der Politik zugewandt und wirkte 1874–84 für die liberale Partei im Wr. Gmd.rat; so gehörte er u. a. der Vorortekomm. an. Als er sich 1884 der Wiederwahl stellte, wurde er von →Heinrich Friedjung heftig angegriffen und auch der „Figaro“ nannte ihn einen „offiziösen Schönfärber“, weil W. seine polit. Haltung mehrfach geändert habe und das „Neue Fremden-Blatt“, das mit Hilfe der Regierung am Leben erhalten wurde, zuerst das zentralist. Min. Auersperg, nun das föderalist. Kabinett Taaffe unterstütze. Im Herbst 1880 wurde W. mit der Red. der Ztg. „Die Presse“ betraut, ein Jahr später avancierte er zu deren Chefred. Die im Jänner 1882 vorzeitig an die Öffentlichkeit gelangten Pläne, „Die Presse“ mit dem „Extrablatt“ und anderen Ztg. zu einem großen Medienkonzern zusammenzufassen, gelangten jedoch nicht zur Ausführung. Zuletzt hatte „Die Presse“ nur noch rund 5.000 Abonnenten; dank finanzieller Unterstützung der Länderbank und staatl. Zuschüsse konnte das Bl. – nach W.s Tod geleitet von →Zacharias Konrad Lecher – bis 1896 weiter erscheinen. W. war ab 1863 Mitgl. des Journalisten- und Schriftsteller-Ver. „Concordia“ (1867 Vizepräs., 1872–76 Präs.), während seiner Vorsitzführung wurde der Pensionsfonds zur Alterssicherung der Mitgl. gegr. W. war Kommandeur des osman. Mecidiye-Ordens, Ritter des Ordine della Corona d’Italia und erhielt 1873 den Orden der Eisernen Krone III. Kl.; 1876 Erhebung in den Ritterstand, 1881 Reg.Rat.

L.: Dt. Ztg., 24., 30. 7., 10. 8. 1872; Die Presse, 19. (Abendbl.) – 21., NWT, 19., Illustrirtes Wr. Extrabl., 20. 6. 1890 (m. B.); Eisenberg 1; Stern–Ehrlich, S. 19 (B.), 143; Wurzbach (s. u. Karl W.); H. Friedjung, in: Dt. WS 2, 1884, H. 10, S. 4f.; I. Hartl, „Das Fremdenblatt“ …, phil. Diss. Wien, 1949, S. 16f., 19ff.; AdR, AVA, HHStA, Pfarre Erdberg, alle Wien; Digitalizované pobytové přihlášky pražského policejního ředitelství (konskripce) 1850–1914 (online, Zugriff 19. 12. 2019).
(Th. Venus)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 186f.
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