Wildauer von Wildhausen, Tobias Ritter (1825–1898), Politiker und Philosoph

Wildauer von Wildhausen Tobias Ritter, Politiker und Philosoph. Geb. Fügen (Tirol), 4. 9. 1825; gest. Innsbruck (Tirol), 3. 4. 1898; röm.-kath. Sohn des Fleischhauers und Landwirts Johann W. (1781–1837) und der Theresia W., geb. Mayr (1784–1851). – Nach dem Besuch des Franziskanergymn. in Hall in Tirol (1836–42) absolv. W. ein Phil.stud. an der Univ. Innsbruck; 1855 Prom. Ab 1848 war er zunächst Supplent am Gymn. in Innsbruck und nach der Lehramtsprüfung 1850 ebd. Prof. für Latein und Griech. 1857 suppl. er die Lehrkanzel für Phil. an der Univ. Innsbruck, die ihm im Jahr darauf – trotz fehlender Habil. und durch Protektion von →Julius v. Ficker und Georg Schenach – def. verliehen wurde. W. wirkte in erster Linie als akadem. Lehrer und veröff. nur wenige wiss. Abhh. Seiner Initiative verdankt die Univ. die Einrichtung einer Smlg. von Gipsabgüssen antiker Statuen (1869). Mit Beginn seines polit. Engagements ab den 1860er-Jahren gerieten seine akadem. Verpflichtungen in den Hintergrund. Zunächst trat er publizist. auf, wobei er liberal-konstitutionelle Positionen einnahm. 1862 sprach er als Redner beim Frankfurter Schützenfest, wo er entschieden die großdt. Richtung verfocht und die Rolle Österr. im Dt. Bund hervorhob. Diese Rede machte ihn schlagartig berühmt: Es folgten öff. Dankesadressen, Ehrenbürgerschaften in zahlreichen Gmd. und sogar die Anerkennung des K. Im konservativen Lager wurde W. hingegen angefeindet, die Abkehr von seiner bisherigen polit. Überzeugung kritisiert und ihm Opportunismus vorgeworfen. 1867 zog er in den Tiroler LT ein (Abg. bis 1895) und gründete im selben Jahr mit Mitstreitern in Innsbruck den Konstitutionellen Ver., dem er vorstand. Nicht zuletzt dadurch avancierte er zur Führungsfigur der Liberalen in (Nord-)Tirol. 1873 wurde er in das AH des RR gewählt (Mitgl. bis 1897), wo er verschiedenen liberalen Klubs angehörte (Fortschrittsklub, Neuer Fortschrittsklub, Klub der Liberalen, Vereinigte Linke, Dt.-österr. Klub, Vereinigte dt. Linke). Als Berichterstatter des Budgetausschusses setzte er sich für die Gründung der Univ. Czernowitz ein. W. trat v. a. in der Frage der Tiroler Glaubenseinheit hervor, wobei er sich für die konfessionelle Gleichberechtigung starkmachte. In der in Tirol heftig geführten Debatte zur Umsetzung des Reichsvolksschulgesetzes verteidigte er die Rolle des Staats bei der Schulaufsicht gegen Angriffe vonseiten des Klerus und der konservativen Mehrheit im LT. W. war in mehreren Ver. führend tätig, z. B. im Dt. Schulver. oder im Ver. des Tirol. Nationalmus. Ferdinandeum. Erzhg. →Ferdinand Maximilian betraute ihn mit der Abfassung eines Ber. über seine Amtszeit als Gen.gouverneur von Lombardo-Venetien (1862/63). W. erhielt 1862 den Orden der Eisernen Krone III. Kl. und wurde 1877 mit dem Prädikat „von Wildhausen“ in den Ritterstand erhoben. Er war weiters Träger des Ritterkreuzes des Verdienstordens der Bayer. Krone. Sein Nachlass befindet sich im Tiroler Landesmus. Ferdinandeum.

W. (s. auch Wurzbach): Ein confessionelles Ausnahmsgesetz für Tirol, 1861; Die Röm. Kurie und das Recht Österr., 1868; Psychol. des Willens bei Sokrates, Platon und Aristoteles, 2 Bde., 1877–79.
L.: NFP, 4. 4. 1898; ADB; Adlgasser; Wurzbach; P. Goller, Die Lehrkanzeln für Phil. an der Phil. Fak. der Univ. Innsbruck (1848–1945), 1989, S. 35ff.; Th. Götz, Bürgertum und Liberalismus in Tirol 1840–73, 2001, s. Reg.; Ch. Aichner, Die Univ. Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen, 2018, S. 275ff.; AVA, Wien; Pfarre Fügen, Tirol.
(Ch. Aichner)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 212f.
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