Winter, Zikmund (Siegmund) (1846–1912), Schriftsteller, Historiker und Pädagoge

Winter Zikmund (Siegmund), Schriftsteller, Historiker und Pädagoge. Geb. Prag, Böhmen (Praha, CZ), 27. 12. 1846; gest. Bad Reichenhall, Dt. Reich (D), 12. 6. 1912. Sohn des Kirchendieners bei der Prager Heiliggeistkirche Anton W. (geb. Prag, 1814; gest. ebd., 21. 1. 1872) und dessen Frau Maria W., geb. Prohazka (Prochaska) (geb. Přibram, Böhmen / Příbram, CZ, 1820; gest. Prag, 9. 6. 1875); verheiratet mit Anna W. (geb. 1852). – W. absolv. 1868 das Akadem. Gymn., trat anschließend – primär aus finanziellen Überlegungen – in das Noviziat bei den Kreuzherren mit dem Roten Stern ein und begann ein Theol.stud. an der Univ. Prag. Nach einem Jahr verließ er den Orden jedoch und stud. bis 1872 Geschichte bei →Josef Emler, →Anton Gindely, →Karl Adolf Constantin v. Höfler, →Josef Kalousek und →Wácslaw Wladiwoj Tomek; 1879 Dr. phil. Bereits um diese Zeit nahm W. eifrig am tschech. kulturellen Leben der Stadt teil (Geschäftsführer des Akademický čtenářský spolek, Mitbegründer des Historický klub) und spielte auch Laientheater. 1873 suppl. er an der Unterrealschule in Pardubitz, im Jahr darauf avancierte er zum w. Lehrer an der Realschule in Rakonitz. Auch hier war er gesellschaftl. sehr aktiv, 1884 wählte man ihn in den Stadtrat. W. nutzte das städt. Archiv für seine hist. Forschungen und als Quelle für seine belletrist. Tätigkeit. Später wurde er nach Prag versetzt, wo er bis zu seinem Ruhestand 1907 als Schulrat und Prof. am (tschech.) Akadem. Gymn. wirkte. Daneben war er in mehreren Kulturver. (Matice česká, Umělecká beseda, Svatobor) und als Red.mitgl. der eher traditionell geprägten literar. Z. „Zvon“ tätig. Auf Grundlage seiner intensiven Archivrecherchen veröff. W. eine Reihe materialreicher Beitrr. zur böhm. Bildungs-, Kirchen- und Kulturgeschichte des 15.–17. Jh., deren Methodik später von der jüngeren Generation kritisiert wurde. Erst die neuere Forschung schätzt sein Interesse für Alltagsgeschichte und seine ausführl. und relativ genaue Wiedergabe heute tw. verschollener Archivalien. In seinen hist. Erz. und Novellen („Nezbedný bakalář“, 1883; „Rozina sebranec“, 1902/03) aus dem frühneuzeitl. städt. Böhmen widmete W. seine Aufmerksamkeit v. a. den einfachen Menschen vor dem Hintergrund polit. und religiöser Ereignisse. Pessimist., doch tw. auch mit Ironie und Komik behandelt er in einer archaisierenden Sprache die Stellung des Individuums in der Krisenzeit. In seinem einzigen Roman „Mistr Kampanus“ (1906, dt. 1957) über den letzten evang. Rektor der Prager Univ., dessen Versuche der Aussöhnung mit den neuen Machthabern scheiterten, stellte er die in der tschech. Erinnerung als traumat. empfundene Zeit nach der Schlacht am Weißen Berg (1620) dar. Insgesamt kann sein erzähler. Werk als Ausdruck der Krise des Historismus in der tschech. Literatur um die Wende vom 19. zum 20. Jh. verstanden werden. W. war ab 1910 o. Mitgl. der Kgl. böhm. Ges. der Wiss., 1890 o. (Gründungs-)Mitgl. der Böhm. K. Franz Joseph-Akad. der Wiss., Literatur und Kunst (1899 Sekr. der I. Kl.) sowie ab 1907 Ritter des Franz Joseph-Ordens.

Weitere W.: Das Prager Ghetto, 1903 (gem. m. I. Herrmann – J. Teige); Z. W. sebrané spisy z beletrie a kulturních studií, ed. J. Otto, 16 Bde., 1911–25; Výbor ze spisů Z. W., ed. J. Otto, 13 Bde., 1928–30; Dílo, ed. M. Novotný, 8 Bde., 1936–38; Dílo, ed. M. Novotný, 9 Bde., 1949–52. – Nachlass: Literární archiv PNP, Praha, CZ.
L.: Bohemia, 12. (Abendausg.), Neues Wr. Journal, Prager Abendbl., 13. 6. 1912; LČL; Masaryk; Otto; Otto, Erg.Bd.; Das literar. Echo 14, 1911/12, S. 1462; V. Dyk, in: Lumír 40, 1911/12, S. 426ff.; A. Jirásek, in: Zvon 12, 1911/12, S. 625f.; A. Novák, in: Přehled 10, 1911/12, S. 647f.; F. X. Šalda, in: Novina 5, 1911/12, S. 508ff.; Z. W. a Rakovník, 1937 (m. B.); M. Görtler, Z. W. a Rakovník, 1947; Z. W. mezi historií a uměním, ed. V. Brožová, 2000; E. Thiele, in: Z. W., Magister Kampanus, 2002, S. 866ff.; S. Fritz, Die Entstehung des „Prager Textes“ …, 2005, S. 129ff.; V. Brožová, in: Z. W., Povídky, 2009, S. 337ff.; V. Brožová, in: Zločin a trest v české kultuře 19. století, ed. L. Peisertová u. a., 2011, S. 207ff.; Digitalizované pobytové přihlášky pražského policejního ředitelství (konskripce) 1850–1914 (online, Zugriff 13. 8. 2019).
(V. Petrbok)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 264f.
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