Winternitz, Wilhelm (1835–1917), Mediziner und Hydrotherapeut

Winternitz Wilhelm, Mediziner und Hydrotherapeut. Geb. Josefstadt, Böhmen (Praha, CZ), 1. 3. 1835 oder 1834; gest. Wien, 22. 2. 1917; mos. Sohn des Brauers und Handelsmanns Moses W. und von Clara W., geb. Seegen (1797–1872), Bruder u. a. des Gmd.beirats von Kaltenleutgeben Ludwig W. (1829–1908) und des Bierkassiers und späteren administrativen Leiters der Wasserheilanstalt in Kaltenleutgeben Heinrich W. (gest. 1894); ab 1889 verheiratet mit der im Holocaust umgekommenen Lydia (Lidia) W., geb. Löwenthal (1859–1942). – Nach dem Besuch des Gymn. in Königgrätz stud. W. ab 1851 Med. an der Univ. Prag, u. a. bei →Johann v. Oppolzer, →Anton Jaksch v. Wartenhorst und →Joseph Halla; 1857 Dr. med., Dr. chir., Mag. obstet. 1857–59 fungierte er als Sekundararzt an der Prager Irrenanstalt und 1859–61 als Korvettenarzt der Kriegsmarine, eine Funktion, in welcher er 1859 Kn. →Elisabeth nach Korfu begleitete. Als bei der Mannschaft an Bord eine grippeähnl. Infektionskrankheit auftrat und die Medikamente aufgebraucht waren, griff W. zur Behandlung mit Wasser. Schon zuvor hatte er von der von →Vinzenz Priessnitz in Gräfenberg entwickelten Kaltwassertherapie gehört, die zu seiner Überraschung an Bord anschlug und die W. nun naturwiss. zu begründen versuchte, u. a. durch Selbstexperimente. 1861 besuchte er für vier Monate Gräfenberg, wo er bei Priessnitzʼ Nachfolger Josef Schindler Kenntnisse der Hydrotherapie erwarb. 1865 habil. er sich auf Oppolzers Wunsch für Hydrotherapie an der Univ. Wien. Im selben Jahr wurde er Priv.Doz. für interne Med., zu deren Unterfach die Hydrotherapie damals gezählt wurde, und begründete die Kaltwasserheilanstalt in Kaltenleutgeben, die in seinen Besitz überging und internationales Vorbild für ähnl. Einrichtungen wurde. 1871 gehörte W. zu den Mitbegründern der Allg. Poliklinik in Wien, wo er ab 1874 als Doz. für Innere Medizin, ab 1881 als tit. ao. Prof. wirkte, die interne Abt. leitete und 1880 die erste hydrotherapeut. Abt. gründete, die er auf eigene Kosten ausbaute und mit einer Schule zur Ausbildung von Badedienern verband. Ab 1897 hatte er als ao. Prof. einen offiziellen Lehrauftrag für Hydrotherapie und wurde 1899 zum o. ö. Prof. für dieses Fach an der Univ. Wien ernannt. Daneben war er mitbeteiligt an der Gründung und Erhaltung der Kinderbewahranstalt in Kaltenleutgeben. 1906 trat er i. d. R. W. erforschte darüber hinaus physiolog. Vorgänge bei therm. und mechan. Reizen und arbeitete auf dem Gebiet der Pathol. Zu seinen bedeutendsten Publ. zählt „Die Hydrotherapie auf physiologischer und klinischer Grundlage“ (2 Bde., 1877–79, 2. Aufl. 1890). 1891 begründete er die „Blätter für klinische Hydrotherapie und verwandte Heilmethoden“, die er i. d. F. auch hrsg. W. fungierte zudem als Präs. des Zentralverbands der Balneologen Österr., war (Ehren-)Mitgl. mehrerer med. Ges., u. a. ab 1865 Mitgl. der Ges. der Ärzte in Wien, k. M. der Ges. der Ärzte in Budapest und Ehrenmitgl des balneolog. Ver. in Odessa. 1889 erhielt er das Ritterkreuz, 1913 das Komturkreuz des Franz Joseph-Ordens, weiters das Ritterkreuz des bayer. Ordens zum Hl. Michael und den Osmanje-Orden III. Kl.; 1901 HR.

Weitere W.: s. Eisenberg; Wurzbach; Petry.
L.: NFP, 1. 3. 1905, 1. 3. 1915, 24. 2. 1917 (Parte); Tages-Post (Linz), WZ, 22., Die Neue Ztg., FB, Neues Wr. Journal, RP, 23. 2. 1917; Neues Österr., 29. 7. 1951; Czeike; Eisenberg 2 (m. W.); Inauguration Univ. Wien 1917/18, 1917, S. 47ff.; Lesky, s. Reg.; Wurzbach (m. W.); Wr. Bilder 4, 1899, S. 2, 22, 1927, S. 6f. (m. B.); A. Strasser, in: WMW 67, 1917, Sp. 491ff.; Oesterr. Illustrierte Ztg. 26, 1917, S. 472; H. Petry, Personalbibliographien von Prof. und Doz. der Inneren Med. ... Univ. zu Wien ... 1850–1925, med. Diss. Erlangen-Nürnberg, 1972, S. 139ff. (m. W.); E. Deimer, Chronik der Allg. Poliklinik in Wien, 1989, s. Reg. (m. B.); K. H. Tragl, Chronik der Wr. Krankenanstalten, 2007, s. Reg.; J. Rohde, in: Erfahrungsheilkde. 59, 2010, S. 150ff.; H. Averbeck, Von der Kaltwasserkultur bis zur physikal. Therapie, 2012, s. Reg.; UA, Wien (m. B.); UA, Praha, CZ.
(G. Vavra)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 270f.
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