Witasek, Stephan (1870–1915), Philosoph und Psychologe

Witasek Stephan, Philosoph und Psychologe. Geb. Wien, 17. 5. 1870; gest. Kroisbach (Graz, Stmk.), 18. 4. 1915; röm.-kath. Sohn von Wenzel W. (gest. Graz, Stmk., 13. 1. 1902), Ing. bei der Südbahn, und dessen 2. Frau Emilie W., geb. Eger, Halbbruder von →Johanna W.; ab 1903 mit Alice W., geb. Makowiczka, verheiratet. – W. maturierte 1889 und stud. zunächst Theol. an der Univ. Wien, ab 1892 Phil., Mathematik und Physik bei →Alexius Meinong v. Handschuchsheim und →Hugo Spitzer in Graz. Er erhielt 1895 den Wartinger-Preis für seine „Untersuchungen zur Komplexionstheorie“, mit der er im selben Jahr prom. wurde. W. habil. sich 1899 mit der Schrift „Ueber die Natur der geometrisch-optischen Täuschungen“ (in: Z. für Psychol. und Physiol. der Sinnesorgane 19, 1899) und wirkte als Priv.Doz. der Phil. an der Univ. Graz sowie als Privatass. am dortigen Experimentalpsycholog. Laboratorium. Parallel dazu musste er seinen Lebensunterhalt ab 1895 als Praktikant, dann als Skriptor und ab 1911 als prov. Bibliothekar an der Univ.bibl. Graz bestreiten. Die eigentl. akadem. Karriere blieb ihm verwehrt, da ein Lehrstuhl für Experimentalpsychol. in Österr.-Ungarn zu W.s Lebzeiten nicht eingerichtet wurde und andere Bewerbungen (Innsbruck, Czernowitz, Zürich) scheiterten. 1905 wurde W. der Titel ao. Prof. verliehen, 1913 wurde er zum Extraordinarius ad personam ernannt und 1914 übernahm er als Nachfolger Meinongs die Leitung des Experimentalpsycholog. Laboratoriums. Als Experimentalpsychologe beschäftigte sich W. intensiv mit Sehen, Raumwahrnehmung, opt. Täuschungen sowie mit psych. Dispositionen. Mit seinen Arbeiten zur Wahrnehmung trug er im Rahmen der Grazer Gruppe von Gestalttheoretikern neben Meinong, →Alois Höfler, Rudolf Ameseder und Vittorio Benussi im Zuge der Ausarbeitung von →Christian Frh. v. Ehrenfels’ Gestaltbegriff maßgebl. zur Theorie der Vorstellungsproduktion bei. Seine „Grundlinien der Psychologie“ (1908, 2. Aufl. 1923, Reprint 2007) geben eine systemat. Überblicksdarstellung über die Psychol. als empir. Wiss. von den psych. Tatsachen, die Meinong und sein Kreis in Fortführung von →Franz Brentanos deskriptiver Psychol. entwickelten. Den zweiten Arbeitsschwerpunkt W.s bildete die Ästhetik, die ebenfalls aus psycholog. und gegenstandstheoret. Perspektive betrieben wird. In seinen „Grundzügen der allgemeinen Ästhetik“ (1904) wird Schönheit als relationales Geschehen analysiert, in das ein Gegenstand und ein erfassendes Subjekt involviert sind, das sich im ästhet. Zustand befindet, der von subjektiven und objektiven Komponenten bestimmt ist, den die subjektiven Faktoren aber letztl. dominieren.

Weitere W. (s. auch Zemljic): Über willkürl. Vorstellungsverbindung, in: Z. für Psychol. und Physiol. der Sinnesorgane 12, 1896; Zur psycholog. Analyse der ästhet. Einfühlung, ebd. 25, 1901; Zur Lehre der Lokalisation im Sehraum, in: Z. für Psychol. 50, 1909; Über ästhet. Objektivität, 2 Tle., in: Z. für Phil. und phil. Kritik 157, 1915; Assoziation und Gestalteinprägung, ed. A. Fischer, in: Z. für Psychol. 79, 1918.
L.: Grazer Tagbl., 27. 4. 1915; M. Stock – W. G. Stock, Psychol. und Phil. der Grazer Schule … A. Meinong, S. W., R. Ameseder, V. Benussi, E. Schwarz, W. M. Frankl und F. Veber 1–2, 1990, s. Reg.; A. Zemljic, in: Internationale Bibliographie zur österr. Phil. 1976/79, ed. Th. Binder u. a., 1993, S. 1ff. (m. B. u. W.); A. Haberl-Zemljic, in: The School of A. Meinong, ed. L. Albertazzi u. a., 2001, S. 225ff.; Bausteine zu einer Geschichte der Phil. an der Univ. Graz, ed. Th. Binder u. a., 2001 (m. B.); Pfarre St. Elisabeth, Wien.
(U. Höfer)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 283
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