Wittek, Heinrich Ritter von (1841–1930), Politiker

Wittek Heinrich Ritter von, Politiker. Geb. Mariahilf, NÖ (Wien), 29. 1. 1844; gest. Wien, 9. 4. 1930; röm.-kath. Sohn des 1858 nob. und 1871 in den Ritterstand erhobenen Off. (zuletzt Obst.) Johann Ritter v. W. (geb. Jung Woschitz, Böhmen / Mladá Vožice, CZ, 21. 10. 1801; gest. Wien, 27. 1. 1876), Erzieher der Söhne von Erzhg. →Franz Karl, und von Elisabeth v. W., geb. Stibral (geb. Klosterneuburg, NÖ, 4. 10. 1824; gest. Wien, 25. 1. 1891), Bruder der mit →Rudolf Schuster Frh. v. Bonnott verheirateten Malerin und Präs. des Ver. für erweiterte Frauenbildung Johanna v. Schuster-W. (geb. Wien, 19. 10. 1860; gest. 1945) sowie der Schriftstellerin Maria Annunziata (Irma) v. W. (geb. Wien, 21. 3. 1867; gest. ebd., 6. 5. 1951), Adoptivvater des mit seiner Nichte Elisabeth Schuster Freiin v. Bonnott verheirateten Off. und Kmdt. des Freiwilligen Schutzkorps (1933–36) und Landesführer-Stellv. des Heimatschutzes in Wien Albert Pollaczek-W. (1879–1957); ledig. – Als Kind war W. Spielgefährte von Erzhg. →Ludwig Viktor, woraus sich eine langjährige Freundschaft entwickelte. Nach dem Besuch des Schottengymn. und einem Rechtsstud. an der Univ. Wien (1861–65, 1867 Prom. sub auspiciis Imperatoris) trat W. als Konzeptspraktikant bei der Finanzprokuratur in den Verwaltungsdienst ein. 1868 kam er als Adjunkt in das Handelsmin., wo er i. d. F. in der Eisenbahnsektion Karriere machte und diese ab 1885 als Sektionschef leitete. Von Juni bis September 1895 war W. als Leiter des Handelsmin. Mitgl. des Übergangskabinetts unter →Erich Gf. Kielmansegg. 1896 wechselte er als oberster Beamter in das neu geschaffene Eisenbahnmin., das er 1897–1905 als Minister führte. Gleichzeitig war er 1899/1900 für wenige Wochen auch Vors. des Ministerrats. W. entwickelte sich früh zu einem Spezialisten für das Eisenbahnwesen und arbeitete federführend die Gesetzesvorlagen zum Bau der Arlbergbahn sowie 1884 zur Schaffung der k. k. österr. Staatsbahnen durch Verstaatlichung mehrerer Hauptbahnen aus. I. d. F. war er an allen verkehrspolit. Infrastrukturprojekten, so auch der Wr. Stadtbahn, maßgebl. beteiligt. Neben dem Ausbau des Bahnnetzes selbst galt W.s Interesse der sozialen Absicherung der Bahnbeamten, für die er sich auch als Präs. (1899–1920) des Klubs der österr. Eisenbahn- und (ab 1915) Schifffahrtsbeamten einsetzte. Als Minister war er hauptverantwortl. für das Projekt der Neuen Alpenbahnen, des größten staatl. Investitionsprogramms in der Spätphase der Monarchie. 1905 trat W. gem. mit dem Eisenbahnbaudir. im Min. Karl Wurmb nach massiven Kostenüberschreitungen bei Bahnbauten und heftiger parlamentar. Kritik an den zur Defizitabdeckung beantragten Nachtragskrediten zurück. Wenige Monate später wurde er als Mitgl. auf Lebenszeit ins HH berufen, wo er sich der Mittelpartei anschloss. Bereits 1899 hatte W. offen seine Nähe zu den Wr. Christl.sozialen bekannt und galt seither als deren Minister. 1907 wurde er schließl. in einer Nachwahl in der Wr. Inneren Stadt nach dem Mandatsverzicht von →Karl Lueger aufgrund einer Doppelwahl in das AH des RR gewählt, worauf er seinen Sitz im HH ruhen ließ. Im AH gehörte er dem Budget-, Eisenbahn- und Ausgleichsausschuss (ab 1909 Obmann) und ab 1909 dem Justizausschuss an und war Berichterstatter des Gesetzentwurfs über die Verstaatlichung der Staats-Eisenbahn-Ges. und der Nordwestbahn. Nach der Niederlage bei den Neuwahlen 1911 kehrte er ins HH zurück, wo er Mitgl. der Eisenbahnkomm. (1917–18 Obmann-Stellv.) und ab 1917 der Justiz- und Budgetkomm. war. W. war Mitgl. der 1911 gegr. Komm. zur Förderung der Verwaltungsreform sowie der 1921 gebildeten Ersparungskomm. zur Erarbeitung von Vorschlägen zur Budgetsanierung und beriet die Regierung 1923 bei der Reform der Bundesbahnen (Bundesbahngesetz). Von der Gründung Ende 1921 bis zur Auflösung Ende 1926 war er Vors. der staatl. Bankkomm., deren Aufgabe in der Vorbereitung einer Neuordnung des privaten Finanzbereichs, v. a. aufgrund der zahlreichen seit dem Ende des Weltkriegs gegr. Aktienbanken, bestand. 1914–30 war W. außerdem Obmann des Hilfsbüros der Gmd. Wien für die Privatangelegenheiten der Einberufenen, das nach dem Krieg in die Rechtshilfestelle für Bedürftige umgewandelt wurde. W. veröff. mehrere verkehrs- und finanzpolit., volkswirtschaftl. sowie tourist. Arbeiten und war auch als Lyriker und Liedkomponist tätig. 1871 zum Ritter des Franz Joseph-Ordens und 1891 zum Geh. Rat ernannt, wurde er 1893 Kommandeur des St. Stephan-Ordens und 1899 Ritter des Ordens der Eisernen Krone I. Kl. Ab 1884 zudem Ritter des Leopold-Ordens, wurde ihm 1904 dessen Großkreuz verliehen.

W.: Smlg. der das österr. Eisenbahnwesen betreffenden Gesetze …, 1870–78; Die österr. Eisenbahnen in der Staatswirtschaft, in: Geschichte der Eisenbahnen der Österr.-Ung. Monarchie 16, 1908, Reprint 2000; Leitende Grundsätze der Staatsbahnverwaltung, 1913; Die mitteleurop. Wirtschaftsfragen, 1917; Die kriegswirtschaftl. Organisationen und Zentralen in Österr., in: Z. für Volkswirtschaft und Sozialpolitik, NF 2, 1922; Bankwesen und Bankkomm., ebd., NF 3, 1923; Die Eisenbahnreform in Dtld. und Österr., 1924 (gem. m. A. Sarter); Der K. in seiner Einstellung zum Verkehrswesen, in: Erinnerungen an Franz Joseph I. …, ed. E. Steinitz, 1931.
L.: WZ, 10., RP, 10., 11. 4. 1930; Adlgasser; P. Mechtler, in: NÖB 10, S. 76ff. (m. B.); J. Schitzhofer, H. Ritter v. W., phil. Diss. Wien, 1949; H. Neuhold, Das andere Habsburg …, 2008, S. 31ff.; St. Heinrich, Erste Republik – Austrofaschismus – Anschluss …, DA Wien, 2011, S. 16ff., 94ff.; F. Weber, Vor dem großen Krach. Österreichs Banken in der Zwischenkriegszeit …, 2016, S. 158ff.; Pfarre Mariahilf, Pfarre Unsere Liebe Frau zu den Schotten, beide Wien.
(F. Adlgasser)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 289f.
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