Wlassics von Zalánkemén, Gyula (Julius) Baron (1852–1937), Jurist und Politiker

Wlassics von Zalánkemén Gyula (Julius) Baron, Jurist und Politiker. Geb. Zalaegerszeg (H), 17. 3. 1852; gest. Budapest (H), 30. 3. 1937; röm.-kath. Sohn des Präs. des kgl. Gerichtshofs in Groß-Kanizsa und Bgm. ebd. Antal Wlassics (1815–1883) und der Mária Wlassics, geb. Börzsöny (1834–1927), Vater der auch literar. tätigen Beamten Tibor Baron W. v. Z. (1883–1931) und Gyula Baron W. v. Z. (1884–1962); ab 1881 verheiratet mit Etelka Baronin W. v. Z., geb. Csengery (1864–1945). – W. besuchte Piaristengymn. in Groß-Kanizsa sowie Pest (1864–70) und stud. anschließend Jus in Budapest und Wien; 1875 Dr. iur. in Budapest, i. d. F. Ablegung der Advokaten- und Richterprüfung. Anfangs bei Gericht tätig, wirkte er 1877–81 in der Kodifikationsabt. des Justizmin. 1882 wechselte er in den staatsanwaltl. Dienst, 1886 erfolgte seine ministerielle Zuteilung als stellv. Oberstaatsanwalt zum Projekt einer Neuregelung des Strafverfahrens und der Gerichtsorganisation. 1890 wurde er zum Prof. für Strafrecht an der Univ. Budapest ernannt. 1892 zog W. als Abg. der regierenden Freisinnigen Partei in den RT ein. Dort profilierte er sich als Vortragender der Gesetzentwürfe über die Zivilehe und die Rezeption der mos. Konfession. Zwecks Überwindung der Regierungskrise im Zusammenhang mit der Kirchengesetzgebung holte ihn →Desider Baron Bánffy im Jänner 1895 als Minister für Kultus und Unterricht in sein neugebildetes Kabinett. Er behielt sein Portefeuille auch unter →Kálmán Széll v. Duka u. Szentgyörgyvölgy bzw. →Károly Gf. Khuen-Héderváry bis zum Oktober 1903 und setzte bildungs- und kulturpolit. eine markant nationalliberale Modernisierung durch. Deren Eckpunkte waren u. a. ein Programm zur Schaffung neuer staatl. Volksschulen, der Ausbau von Fachschulen, Förderung und Kontrolle der Lehrerausbildung, neue Lehrpläne für Gymn. und Realschulen, Schaffung eines vollständigen Gymn.wesens für Mädchen, Zulassung von Frauen zum Stud. an med. und phil. Fak., Ausweitung des Prom.rechts auf die TH, Gründung einer oriental. Handelsakad. in Budapest sowie die Schaffung repräsentativer Mus.bauten. Nach kurzer Rückkehr auf die Lehrkanzel für Strafrecht bekleidete W. 1906–33 das Präs.amt des obersten Verwaltungsgerichtshofs. Unter seiner Amtsführung wurden dessen Kompetenzen wesentl. erweitert, darunter (allerdings erst 1925) die Wahlgerichtsbarkeit. 1918 zum Präs. des Magnatenhauses ernannt, stand W. auch an der Spitze jener Delegation, die im November desselben Jahres in Eckartsau von Kg. →Karl dessen Verzicht auf jegl. Anteil an den ung. Staatsgeschäften erwirkte. Nach Ausrufung der Volksrepublik Ungarn erklärte W. die Tätigkeit der von ihm präsidierten Körperschaft bloß für eingestellt, um die Rechtsgrundlage für eine postrevolutionäre Restauration zu wahren. Seine Wahl zum Präs. des 1927 wiedererrichteten Oberhauses galt als Zeichen der Kontinuität. Er hatte dieses Amt bis 1935 inne. Seine zahlreichen Publ. behandeln u. a. die Rolle des Verwaltungsgerichtshofs, das Völkerrecht, den Minderheitenschutz sowie jurist. Aspekte des 1. Weltkriegs und außenpolit. Themen. Internationale Anerkennung brachte ihm eine Mitgl.schaft am Ständigen Schiedshof von Den Haag (ab 1923) ein, 1928 wurde er zum Mitgl. der Acad. Diplomatique Internationale in Paris ernannt. 1903–21 führte er zudem den Vorsitz im Landessenat der Mus. und Bibl. 1886 zum Geh. Rat ernannt, erhielt W. 1897 den Orden der Eisernen Krone I. Kl. und das Großkreuz des rumän. Kronenordens, 1900 den pers. Sonnen- und Löwenorden I. Kl., 1903 das Großkreuz des Leopold-Ordens, 1926 das Großkreuz des Ung. Verdienstordens sowie 1930 das neu gestiftete Matthias-Corvinus-Ehrenzeichen. Er war ab 1886 k. M., ab 1892 o. Mitgl., ab 1901 Dion.- und ab 1919 Ehrenmitgl. sowie 1898–1901 2. Vizepräs. der MTA. 1916 wurde er mit dem Prädikat „von Zalánkemén“ zum Baron erhoben.

W. (s. auch Das geistige Ungarn; Szinnyei): Perjogi alapelvek a közigazgatási bíráskodásban, in: Jogállam 12, 1913; Le prince de Bülow et la politique mondiale allemande, in: Revue de Hongrie 15, 1915; A koronázási hitlevél jogi természete és az új hitlevél, in: Jogállam 16, 1917; The right of self-determination, the protection of the national minorities, 1922; Le Rappel du juge roumain du Tribunal arbitral mixte roumano-hongrois, 1928.
L.: Das geistige Ungarn (m. W.); M. Életr. Lex.; Szinnyei (m. W.); ÚMÉL; V. Molnár, W. Gy., 1907; J. Balogh, in: Budapesti Szemle, 1939, Nr. 252, S. 129ff., 257ff.; M. Mann, Kultúrpolitikusok a dualizmus korában, 1993, S. 83ff.; M. Mann, W. Gy., 1994; K. Jónás – J. Villám, A magyar Országgyűlés elnökei 1848–2002, 2002, S. 245ff.; W. Gy. és kora 1852–1937, ed. I. Kapiller, 2002; L. Felkai, W. Gy. …, 2003; Gy. Borbás, W. Gy. és a művészetek …, 2004; K. Bódiné Beliznai, in: Miskolci Jogi Szemle 12, 2017, H. 2, S. 105ff.; P. Bődy, Science Policies in Hungary (1867–1910) …, 2017, S. 95ff.
(I. Ress)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 299f.
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