Wohlmeyer, Johann (1850–1932), Politiker und Baumeister

Wohlmeyer Johann, Politiker und Baumeister. Geb. St. Pölten (NÖ), 14. 9. 1850; gest. ebd., 8. 3. 1932; röm.-kath. Sohn des Baumeisters Josef W. (1815–1884) und der Franziska W., geb. Lindner (1830–1915), Bruder u. a. von →Wilhelm W., der Baumeister Karl W. (1856–1929) und Friedrich W. (1868–1949), Onkel des Bundeskanzlers Julius Raab; ab 1874 verheiratet mit der Hausbesitzerstochter aus Obergrabern Theresia W., geb. Inführ (1853–1917). – Nach dem Besuch der Realschule überwarf sich W. mit dem Vater und verließ mit 17 Jahren das elterl. Haus. Es folgten Wanderjahre als Handwerker und schließl. die Baumeisterprüfung. 1880 trat er aus dem verschuldeten Unternehmen seines Vaters aus und gründete eine eigene Baufa. in St. Pölten. Als Bauunternehmer engag. sich W. v. a. für die Interessen des Gewerbes, aber auch für jene der Landwirtschaft und der Lohnabhängigen. Er war seit den 1880er-Jahren Vorsteher der Genossenschaft des Baugewerbes in St. Pölten und später Präs. des Verbands der Bau-Genossenschaften NÖ. 1908 initiierte er die Gründung der Ortsgruppe St. Pölten des christl.sozial ausgerichteten Dt.österr. Gewerbebunds und wurde dessen 1. Obmann; 1897–1902 Kammerrat der nö. HGK. Zudem regte W. die Gründung der Lagerhausgenossenschaft St. Pölten an und war 1898–1923 Obmann der landwirtschaftl. Genossenschaft St. Pölten. Im RR setzte er sich für die Schaffung einer allg. staatl. Alters-, Invaliditäts-, Witwen- und Waisenversorgung ein. Daneben wirkte W. an der Gründung des christl. Arbeiterbildungsver. St. Pölten mit. Parteipolit. besetzte er in verschiedenen Organisationen im Umfeld der Kath.-Konservativen bzw. Christl.sozialen führende Positionen: Er saß im Ausschuss des Kath. Casinos St. Pölten, war 1887 an der Gründung der Vereinigten Christen beteiligt, wirkte 1890 maßgebl. an der Entstehung des Christl.sozialen Ver. St. Pölten und Umgebung mit und wurde dessen erster Obmann. W. zählte neben →Josef Scheicher zu den wichtigsten Gründerpersönlichkeiten der Christl.sozialen Partei der ländl. Gebiete NÖ. Streng kath., betont antiliberal und antimarxist. sowie scharf antisemit. eingestellt, war er seit den 1880er-Jahren ein Anhänger →Karl Frh. v. Vogelsangs. Zudem unterhielt W. enge Kontakte zu Vogelsangs Förderer →Franz Gf. Kuefstein, der im nahen Schloss Viehofen residierte, und wurde schließl. ein Freund und bedingungsloser Unterstützer →Karl Luegers. Seine polit. Ziele verfolgte W. kompromisslos: Sein polit. Hauptfeind war der dt.-liberale Bgm. von St. Pölten Wilhelm Völkl, dessen zeitweilige Absetzung er 1903 erreichte. Vorübergehend überwarf sich W. auch mit der eigenen Partei, weil er im Viertel ober dem Wienerwald den Antisemitismus und christl.soziale Werte zu wenig berücksichtigt sah. 1903–04 brachte er sogar ein lokales Konkurrenzbl. zur „Reichs-Post“, die „St. Pöltner Deutsch-christliche Volks-Zeitung“ mit dem bezeichnenden Untertitel „Antisemitisches Organ der Christlichsozialen in St. Pölten für das gesamte christliche Volk“, heraus. W. war für die Christl.sozialen auf allen polit. Ebenen tätig: im Gmd.ausschuss von St. Pölten (1894–1903, 1908–22), im nö. LT sowie im RR (in beiden 1897–1918). Den Übergang von der Monarchie zur Republik gestaltete er als 2. Vizebgm. von St. Pölten (1919–22) sowie als Mitgl. der prov. Landesversmlg. (1918–19) und der prov. Nationalversmlg. (1918–19) mit.

L.: RP, 9. 3. 1932; Adlgasser; Freund, 1911 (m. B.); R. Knoll, Zur Tradition der Christl.sozialen Partei, 1973, S. 272; J. Prammer, Konservative und christl.soziale Politik im Viertel ob dem Wienerwald 1848–1914, phil. Diss. Wien, 1973, passim; K. Gutkas, in: J. Raab, ed. A. Brusatti – G. Heindl, (1986), S. 19ff., 71ff.; S. Nasko, Empor aus dumpfen Träumen, 1986, S. 136; Biograph. Hdb. des nö. LT 1861–1921, 2005, S. 343; St. Eminger, Das Gewerbe in Österr. 1930–38, 2005, S. 57; W. Rosner, in: St. Pölten im 20. Jh., ed. S. Nasko – W. Rosner, 2010, S. 15ff.
(St. Eminger)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 314
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