Wohlmuth, Johann Leopold (1795–1862), Pfarrer

Wohlmuth Johann Leopold, Pfarrer. Geb. Pöttelsdorf, Ungarn (Bgld.), 30. 3. 1795; gest. Rechnitz, Ungarn (Bgld.), 20. 6. 1862; evang. Sohn eines Pfarrers. – W. wuchs bis zum frühen Tod des Vaters (1802) im Pfarrhaus von Pöttelsdorf auf, besuchte in Ödenburg das Gymn. und anschließend die dortige theol. Akad. Nach mehrjähriger Tätigkeit als Hauslehrer in Pressburg wechselte er 1816 für drei Semester an die Univ. Göttingen. Nach seiner Rückkehr wurde er im Oktober 1818 in Ödenburg zum geistl. Amt ordiniert und daraufhin zum Pfarrer in Rechnitz berufen, der er bis zu seinem Ableben blieb. 1828 zum Konsenior und 1831 zum Senior gewählt, leitete er das Obereisenburger Seniorat, welches die Gmd. des heutigen Südbgld. umfasste, bis 1850. Bei der Wahl des Superintendenten im Kirchendistrikt jenseits der Donau unterlag er 1846 nur knapp dem Pfarrer von Raab Matthias Haubner und wurde mit dessen Stellvertretung betraut. Als jener wegen seiner Unterstützung der Kossuth-Regierung suspendiert und in Kufstein inhaftiert wurde, übernahm W. als Administrator die Leitung des Kirchendistrikts. Diese Tätigkeit fiel in die Ära des Neoabsolutismus, in der Kultusminister →Leo Gf. v. Thun u. Hohenstein die Protestantenfrage durch das Ung. Protestantenpatent von 1859 zu lösen versuchte. W. setzte sich in diesem Sinn für die Koordinierung der Gmd. ein, geriet dadurch aber in Gegensatz zu den magyar. Autonomisten, welche in dem Patent eine massive Verletzung der kirchl. Unabhängigkeit erblickten und nicht ruhten, bis das Patent, das die Grenzen der Kirchendistrikte neu festlegte, schon 1860 zurückgezogen werden musste. In der Wahrnehmung der Autonomisten handelte W. als „Habsburg-Kollaborateur“. Dieser wiederum berief sich auf seine staatl. Beauftragung und weigerte sich, die von einem nicht rechtmäßigen Konvent in Güns im Mai 1860 vorgenommene Wiedereinsetzung Haubners zur Kenntnis zu nehmen, und beharrte auf einer gesetzeskonformen Amtssiegel- und Kanzleiübergabe, zu der es 1861 auch kam. In den Jahren seiner kirchenleitenden Tätigkeit führte er regelmäßige Visitationen durch und setzte sich für das evang. Schulwesen ein, das im Zuge der Reorganisation in den 1850er-Jahren zeitweise das Öffentlichkeitsrecht verlor, wodurch die betreffenden Schulen zu privaten Einrichtungen abgestuft wurden. Seine korrekte Amtsführung wurde auch von seinen kirchenpolit. Gegnern anerkannt; 1857 Ritter des Franz Joseph-Ordens.

L.: K. Fiedler, Pfarrer, Lehrer und Förderer der ev. Kirche A. u. H.B. im Bgld., 1959, S. 167f.; K. Fiedler, in: Jb. für die Geschichte des Protestantismus in Österr. 78/79, 1963, S. 17ff., bes. 40ff.; F. Gottas, Die Frage der Protestanten in Ungarn in der Ära des Neoabsolutismus, 1965, s. Reg.; M. Mierau, J. L. W. 1795–1862, Hausarbeit Wien, 1990; H. H. Weber, in: Lebendiges Evangelium, 1991, H. 9, S. 18ff.; F. Gottas – K. Schwarz, in: Die Reformation und ihre Wirkungsgeschichte in der Slowakei, ed. K. Schwarz – P. Švorc, 1996, S. 159ff.
(K. W. Schwarz)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 315
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