Wolker, Jiří (Karel); Ps. Jiří Kér, J. Bratr (1900–1924), Schriftsteller und Jurist

Wolker Jiří (Karel), Ps. Jiří Kér, J. Bratr, Schriftsteller und Jurist. Geb. Proßnitz, Mähren (Prostějov, CZ), 29. 3. 1900; gest. Prostějov, Tschechoslowakei (CZ), 3. 1. 1924; bis 1921 röm.-kath. Sohn des Bankbeamten Ferdinand W. (geb. Proßnitz, 19. 4. 1873; gest. ebd., 16. 8. 1949) und seiner Frau Zdena W., geb. Skládalová (geb. Proßnitz, 4. 1. 1879; gest. ebd., 26. 7. 1954), die W.s Werk verwaltete und seinen Briefwechsel ed. („Korespondence s rodiči“, 1952), mehrere Erinnerungsbücher über ihn verf. („Jiří Wolker ve vzpomínkách své matky“, 1937, überarb. Neuausg. 1954) und darüber hinaus publizist. in der Regionalpresse tätig war. – Bereits während seines Gymn.besuchs 1911–19 schrieb W. Ged., gründete die Schülerz. „Naše kvarta“ und leitete den belletrist. Teil der Z. „Sborník českého studentstva na Moravě a ve Slezsku“. Er war darüber hinaus im Turnver. Sokol, als Pfadfinder und Leiter der Jugendgruppe der Tschech. Staatsrechtl.-demokrat. Partei aktiv. Nach der Matura stud. er an der Prager tschech. Univ. Jus und hörte 1919–20 auch Vorlesungen über tschech. Literatur sowie Musikwiss. Sein Kommilitone, der spätere Historiker Zdeněk Kalista, vermittelte ihm Kontakte zu neueren Autoren aus kommunist. Kreisen wie →Stanislav Neumann und Karel Teige um die avantgardist. Gruppen Umělecký klub bzw. 1922–23 Umělecký svaz Devětsil; wegen Meinungsverschiedenheiten trat W. jedoch aus beiden Gruppierungen aus. 1921 wurde er Mitgl. der kommunist. Partei und nahm an deren kulturellen Aktivitäten teil, z. B. publ. er in der Z. „Var“. Im Sommer 1922 hielt W. sich in Dalmatien und u. a. auf der Insel Krk auf. 1923 diagnostizierte man bei ihm Tuberkulose. Nach einem Kuraufenthalt in der Hohen Tatra starb er kurz nach seiner Rückkehr. W.s Œuvre gehört zu den meistrezipierten Werken der tschech. Literatur des 20. Jh. Ausgehend von der spätdekadent-sensualist. Tradition änderten sich seine dichter. Versuche unter dem Einfluss der französ. Unanimisten (Jules Romains, Charles Vildrac) hin zu einem empath., eth. positiv aufgeladenen Erleben der elementaren Dinge des Alltags („Host do domu“, 1921), bearb. mit den poet. Mitteln der modernen Poesie eines Guillaume Apollinaire. In seiner zweiten Ged.smlg. „Těžká hodina“ (1922) schlägt sich W.s gesellschaftl. Engagement für die Schwächeren und Benachteiligten in sozial gefärbten Balladen mit pathet., sozialutop. Prägung und einem optimist. Ausklang nieder. Das Thema der gesellschaftl. Verantwortung des Einzelnen beschäftigt W. auch in seinen Dramen („Tři hry“, 1923) und programmat. in seinen kulturtheoret. und -krit. Texten. Posthum wurde sein Werk öfters Gegenstand der Literaturkritik; die Rezeptionsgeschichte spiegelt die Bemühungen der linksradikalen Intelligenz um die Anerkennung ihrer kulturellen Verdienste, aber auch um die Durchsetzung der eth. Botschaft von W.s Werk im realen Leben wider. Nach der kommunist. Machtübernahme 1948 wurde W.s Schaffen unkrit. wahrgenommen, aus dem komplexen Zeitrahmen seiner Entstehung gelöst und als Beispiel für einen bedingungslosen Optimismus, den Elan für den Aufbau einer neuen sozialist. Ges. und als Symbol der ewigen Jugend der neuen Dichtung zugeordnet. W.s Texte wurden mehrfach vertont und auch ins Dt. übers., u. a. von Josef Mühlberger („Gast ins Haus“, 1966), Grete Reiner-Straschnow, Lisa Schük („Die schwere Stunde“, 1924), F(ranz) C(arl) Weiskopf oder Wolfgang Würfel.

Weitere W. (s. auch LČL; Marek, 1975): Dílo J. W., ed. A. M. Píša, 2 Bde., 1924–25; Dílo J. W., ed. M. Novotný, 3 Bde., 1930; Spisy J. W., ed. A. M. Píša u. a., 4 Bde., 1953–54; Dopisy, ed. Z. Trochová, 1984. – Nachlass: Literární archiv PNP, Praha, Muz. a galerie v Prostějově, Prostějov, beide CZ.
L.: Lidové noviny, Prager Presse, Rudé právo, Večerník Práva lidu, 4., Venkov, 5., AZ, 15. 1., Prager Tagbl., 7. 3. 1924; LČL (m. W.); Masaryk; Host 3, 1923/24, Nr. 4; M. Rutte – R. Illový, in: Akademie 27, 1923/24, S. 351f.; Das literar. Echo 26, 1923/24, S. 380; F. X. Šalda, in: Kritika 1, 1924, S. 50ff.; J. Durych, in: Rozmach 2, 1924, S. 31; In memoriam J. W., ed. K. Janský, 1924; V. Nezval, J. W., 1925; Z. Kalista, Kamarád W., 1933; A. C. Nor, J. W. (básník a člověk), 1934, erw. Aufl. 1947; M. Honzíková, J. W., 1953; J. W. Příklad naší poezie, 1954; J. H. Thumin, Das Problem von Form und Gattung bei J. W., 1966; M. Brod, in: J. W., Gast ins Haus, 1966, S. 50ff.; Š. Vlašín, J. W., 1974, erw. Aufl. 1980 (m. B.); P. Marek, J. W. a Prostějov, 1975 (m. B. u. W.); I. Seehase, in: J. W., Ich wachse wie der helle Tag, 2. Aufl. 1977, S. 185ff.; J. W. ve vzpomínkách současníků, ed. P. Marek, 1990 (m. B.); F. Drašner, J. W. na Vysočině, 2006; Pfarre Prostějov, CZ.
(V. Petrbok)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 72, 2021), S. 336f.
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