Wurm, Franz Xaver (Franciscus Nepomuk) (1786–1860), Mechaniker, Erfinder und Fabrikant

Wurm Franz Xaver (Franciscus Nepomuk), Mechaniker, Erfinder und Fabrikant. Geb. Ebenthal (Ktn.), 18. 7. 1786; gest. Wien, 6. 11. 1860; röm.-kath. Sohn des gräfl. Gärtnermeisters Josef Johann Nepomuk W. (1760–1823) und dessen Frau Maria Theresia W., geb. Bauer (1765–1795), Neffe des Handelsmanns und Gewerken Josef Karl Gugitz; unverheiratet. – W. wurde 1800 Handelslehrling bei seinem Onkel in Hüttenberg sowie bei dessen Schwager Johann Georg Türk in Guttaring, wo er sich auch im Berg- und Hüttenwesen bildete und erste Erfindungen machte. Danach war er Kommis in Laibach und 1809 Soldat bei der Landwehr. 1811 entwickelte er in Ebenthal eine Flachsspinnmaschine und begab sich 1812 nach Wien, wo er ein verbessertes Modell aufstellte. Mit finanzieller Unterstützung des Polizeidir. i. R. und k. k. Rats Leopold Pausinger entwickelte er eine weitere Flachsspinnmaschine (Patent 1817), eine Flachsreinigungs- sowie eine Wergband-, Werglocken- und Wergspinnmaschine (Patent 1819, verb. Patent 1822 und 1823), eine neue Flachs- und Wergfeinspinnmaschine sowie eine Wergreinigungs- und eine Zwirnmaschine (Patent 1823) und mit Joseph Jüttner eine Flachsbrechmaschine (Patent 1826). 1820 wurde W. Mitbegründer, Teilhaber und Dir. von Pausingers k. k. priv. Flachs- und Werg-Spinnfabrik zu Marienthal in Gramat-Neusiedl, später bekannt geworden durch die Stud. „Die Arbeitslosen von Marienthal“ (1933). Nach finanziellen Schwierigkeiten fälschte W. erstmals in Österr. Banknoten, wodurch er 1.475 fl zum Betrieb seiner Fabrik erschwindelte. Er wurde im März 1826 verhaftet, im März 1827 zum Tod durch den Strang verurteilt und im August des Jahres zu lebenslangem Kerker begnadigt. Im Gefängnis Spielberg in Brünn, dann im Zuchthaus Leopoldstadt setzte er seine Erfindungen fort. Im Februar 1831 entlassen, wurde er 1833 als Zentralmechaniker im Münz- und Bergbaufach angestellt und 1835 mit der maschinellen Einrichtung und dem Werkbau des neuen Haupt-Münzamts in Wien beauftragt. W., ab 1839 Ing. und Mechaniker, erhielt 1839 einen ähnl. Auftrag für die k. Russ. Münze zu St. Petersburg. Seine Erfindungen zeugen von einer enormen Bandbreite: u. a. Dampfschiffruderrad 1816, Schreibmaschine 1831, Furnierkreissäge- und Brennholzschneidemaschine für Blinde für das Blindeninst. in Wien 1833, Abdampfungsapparat (Patent 1831), Maschinensystem zur Reinigung, Vorbereitung und Verspinnung unfilierbarer Seidenkokons 1834 (gem. mit Michael Bach), Maschinen- und Manipulationssystem zur Erzeugung aller Arten Nägel „auf kaltem Weg“ (Patent 1835), Drahtseilflechtmaschine 1835 (verb. Patent 1845). In den 1830er-Jahren folgten Gebläsedosen für Hochöfen, eine Münzplattenjustier- und Sortiermaschine, in den 1840er-Jahren ein Repulsionsdampfhammer, mit →Emanuel Louis Tschulik eine Letternsetzmaschine, eine Maschine zur Verwendung von Fleischabfällen und Knochen sowie eine Feuerungsmethode für Dampfkessel. 1853 erhielt er Patente auf eine Schokoladenmühle und eine Waschmaschine. Während der Wr. Oktoberrevolution 1848 brannte W.s Haus nieder, wobei er sämtl. Modelle und über 4.000 Bl. Konstruktionszeichnungen verlor. W. war ab 1850 Mitgl. des Österr. Ing.-Ver., Abt.sekr. der Mechanik des nö. Gewerbever., in dessen „Verhandlungen“ er regelmäßig publ., und 1850 Mitbegründer des Ver. zum Besten verstümmelter Krieger, für den er unentgeltl. künstl. Arm- und Beinprothesen entwickelte. Er zählt zu den techn. Pionieren der österr. Textilind. und gilt als Erfinder der ersten brauchbaren Flachsspinnmaschine Europas. Ebenso richtungsweisend waren seine Erfindungen auf dem Gebiet der Münzherstellung. Literar. wurde W.s Leben u. a. von →Josef Pfundheller (in: Gmd.-Ztg., Wien, Oktober/November 1872) und Gustav Karl Bienek („Das Wasserzeichen“, 1948; „Der geheimnisvolle Herr von B. …“, 1955) verarbeitet.

W.: Ber. über eine Abth. von Maschinen der Londoner Ind.-Ausst. an den nö. Gewerb-Ver. …, 1851.
L.: WZ, 7. 2. 1818; Der Wanderer, 7. 3. 1831; Wurzbach; (L. Ch. v.) Vest, in: Vaterländ. Bll. … 5, 1812, S. 556f.; Systemat. Darstellung der neuesten Fortschritte in den Gewerben und Manufacturen … 1, ed. St. v. Keeß – W. C. W. Blumenbach, 1829, S. 99ff., 107, 109f.; H. Hermann, Hdb. der Geschichte des Hg.thumes Ktn. … 3/3, 1860, S. 265ff.; F. Achates, in: Freie Stimmen (Klagenfurt) 12, 1892, Nr. 155, S. 1ff.; G. K. Bienek, in: Arbeiterkal. 1946, ed. H. Kohlich, 1946, S. 113ff.; R. Müller, Marienthal. Das Dorf – Die Arbeitslosen – Die Studie, 2008, S. 49ff.; Pfarre St. Johann Nepomuk, Wien; Pfarre Gurnitz, Ktn.
(R. Müller)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 72, 2021), S. 370f.
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